Uni Bern: Den Umgang mit dem Land ins Zentrum zu stellen, um globale Krisen zu bewältigen

Wir leben auf einem intensiv genutzten Planeten, auf dem das ganze Land den Menschen nützt: Huétor Tájar, Andalusien, Spanien. Bild: © Maxar

Klimawandel, Biodiversitätsverlust und andere globale Krisen erfordern neue Denkweisen. Zu diesem Schluss gelangen 50 international führende Landnutzungsforschende, darunter auch der Universität Bern. Sie fordern politische Entscheidungsträgerinnen und -träger auf, zehn Fakten bei ihren Entscheiden zu berücksichtigen.

In einem neuen Bericht «Ten Facts about Land Systems for Sustainability», der heute in den
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde, rufen 50 führende Landnutzungsforschende aus 20 Ländern dazu auf, nachhaltige und gerechte Lösungen für die dringendsten globalen Herausforderungen zu entwickeln. Der Appell richtet sich an politische Entscheidungsträgerinnen und -träger weltweit, entsprechend zu handeln. Ein Begleitbericht dazu zeigt konkrete Beispiele.

Landnutzung als Schlüssel zur Lösung von Herausforderungen

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«Globale Vereinbarungen zu Klimawandel, Biodiversität und Entwicklung konzentrieren sich zunehmend auf die Landnutzung als Lösung für eine lange Liste von Herausforderungen», sagt Ariane de Bremond, eine der Hauptautorinnen der Studie sowie Wissenschaftlerin am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern, und Geschäftsführerin des Global Land Programme. Dieses Forschungsnetzwerk hat die Autorengruppe eingeladen, die Studie zu verfassen. «Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen dringend begreifen, dass eine gerechte Umsetzung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) eine Politik erfordert, welche die zehn in der Studie erläuterten Fakten berücksichtigt», so de Bremond.

Die Studie soll als Grundlage für politische Maßnahmen dienen, die darauf abzielen, die
Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, Systeme für eine nachhaltige Nahrungsmittel- und Energieproduktion zu entwickeln, die Biodiversität zu schützen und konkurrierende Ansprüche auf Landbesitz auszugleichen. Mit dabei ist eine Check-Liste mit zehn grundlegenden Fakten (siehe unten), die politische Entscheidungsträgerinnen und -träger berücksichtigen müssen, um nachhaltige Lösungen für diese komplexen Herausforderungen zu entwickeln.

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«Die zehn Fakten zeigen deutlich, dass Land der Schlüssel zur umfassenderen Umsetzung internationaler Vereinbarungen zu Klima, Biodiversität und nachhaltiger Entwicklung ist. Land verdient daher nicht nur eine zentrale Bühne in den relevanten Conferences of the Parties (COP), sondern sollte auch auf einem globalen Landgipfel thematisiert werden», sagt Peter Messerli, Co-Vorsitzender des Global Land Programme, Professor für Nachhaltige Entwicklung und Direktor der Wyss Academy an der Universität Bern sowie Mitautor der Studie.

Die zehn Fakten nehmen Bezug auf das Verhältnis der Menschen zu Land sowohl auf physischer Ebene als auch punkto seiner sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ökologischen und spirituellen Bedeutungen. Sie alle haben Einfluss darauf, wie Landnutzungsentscheide getroffen werden und von wem.

Ergebnis von langjähriger Forschung

«Wie wir unser Land nutzen, wird darüber entscheiden, ob die Menschheit die Herausforderung meistern kann, mit dem Klimawandel auf gerechte Art umzugehen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und menschenwürdige Lebensgrundlagen für alle zu schaffen», sagt Casey Ryan, einer der Hauptautoren der Studie. Der Lehrbeauftragte für Ökosystemleistungen und globalen Wandel an der Universität Edinburgh fügt an: «Unsere Studie vereint jahrzehntelange Arbeit und zeigt, warum es so schwierig ist, Land nachhaltig zu bewirtschaften. Sie zeigt aber auch, wie es möglich ist.»

Patrick Meyfroidt, Hauptautor der Studie und Professor an der UCLouvain in Belgien schliesst: «Wir hoffen, dass diese Fakten und ihre Auswirkungen eine solidere Grundlage für die dringend notwendigen Gespräche über Landnutzung und Nachhaltigkeit bei der Entwicklung einer globalen Politik bilden können.»

Die zehn Fakten

  1. Die Bedeutung und Werte von Land sind sozial konstruiert und umstritten. Verschiedene Gruppen legen unterschiedlichen Wert darauf, was Land nützlich oder kulturell wichtig macht, und wann Land als degradiert betrachtet wird. Top-down politische Massnahmen sind oft in einem vorherrschenden Wertesystem verwurzelt.
  2. Landnutzungssysteme sind komplex und weisen oft abrupte, schwer vorhersehbare Veränderungen auf. Politische Massnahmen sollen in der Regel ein bestimmtes Problem lösen, scheitern jedoch oft, weil sie die Komplexität der Systeme ignorieren. Die isolierte Behandlung eines Problems kann zu unbeabsichtigten Schäden für Natur und Menschen führen.
  3. Irreversible Veränderungen und Pfadabhängigkeiten sind gemeinsame Merkmale von Landnutzungssystemen. Der Wechsel von einer Landnutzung in eine andere, wie etwa die Rodung von alten Wäldern, führt zu Veränderungen, die Jahrzehnte bis Jahrhunderte später zu spüren sind. Renaturierungen bringen Land selten in einen Zustand zurück, der wirklich den ursprünglichen Bedingungen entspricht.
  4. Einige Landnutzungen haben zwar einen geringen Fußabdruck, aber sehr große Auswirkungen. Städte zum Beispiel verbrauchen große Mengen an Ressourcen, die oft anderswo auf riesigen Landflächen produziert werden. Städte können jedoch auch negative Auswirkungen verringern, indem sie die Bevölkerung auf einer relativ kleinen Fläche konzentrieren. Nettoauswirkungen lassen sich oft schwer messen und vorhersagen.
  5. Treiber und Auswirkungen von Landnutzungsänderungen sind global miteinander verbunden und wirken sich auf entfernte Orte aus. Aufgrund der Globalisierung können wirtschaftliche Faktoren, politische Maßnahmen, Organisationen, Entscheidungen und auch die Landnutzung von weit entfernt lebenden Menschen die Landnutzung an einem anderen Ort beeinflussen.
  6. Wir leben auf einem intensiv genutzten Planeten, auf dem das gesamte Land den Gesellschaften von Nutzen ist. Menschen bewohnen, nutzen oder bewirtschaften direkt mehr als drei Viertel der eisfreien Fläche der Erde, wobei indigene Völker und lokale Gemeinschaften mehr als 25 Prozent bewohnen und nutzen. Selbst unbewohntes Land ist auf unterschiedliche Art mit den Menschen verbunden; nirgendwo ist eine Änderung der Landnutzung frei von Kompromissen.
  7. Landnutzungsänderungen sind in der Regel mit Abwägungen zwischen verschiedenen Vorteilen verbunden. „Win-Win“-Situationen sind selten. Die Landnutzung bietet eine Reihe von Vorteilen wie Nahrung, Holz und sakrale Gebiete. Aber sie geht oft auch mit Kompromissen für die Natur und einige lokale Gemeinschaften einher. Landnutzungsentscheide sind mit Werturteilen verbunden, die bestimmen, welche Vorteile priorisiert werden sollen und für wen.
  8. Landbesitz- und Landnutzungsansprüche sind oft unklar, überschneiden sich und sind umstritten. Nutzungs- und Zugangsrechte zu Land können sich überschneiden, verschiedenen Personen gehören oder sich auf verschiedene Arten des Zugangs beziehen, wie bei Eigentums- oder Nutzungsrechten.
  9. Nutzen und Lasten von Land sind ungleich verteilt. In den meisten Ländern der Welt besitzt eine kleine Anzahl von Menschen einen unverhältnismäßig großen Teil an Landfläche und Bodenwert.
  10. Landnutzende haben vielfältige, manchmal widersprüchliche Vorstellungen davon, was soziale und ökologische Gerechtigkeit bedeutet. Es gibt keine alleinige Form der Gerechtigkeit, die für alle gleichermaßen fair ist. Gerechtigkeit bedeutet für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge. Diese gehen von der Anerkennung des Anspruchs indigener Gruppen auf Land über die Auswirkungen auf künftige Generationen bis hin zu den Systemen, mit denen bestimmt wird, wessen Ansprüche Vorrang haben.