Die Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien ist in Deutschland bereits gut vorangeschritten, die Energiewende geht in die zweite Phase und fokussiert unter anderem darauf, den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Hier setzt das Verbundprojekt ZO.RRO (Zero Carbon Cross Energy System) an, das eine CO2-freie Energieversorgung des Freistaats Thüringen zum Ziel hat. Um dieses umzusetzen, betrachten die Projektpartner Strom-, Wärme- und Gasnetze – Experten sprechen von Sektorenkopplung. Die Besonderheit: Bisherige Vorhaben betrachten vorrangig die Bereitstellung von Energie, die Wechselwirkungen mit den Systemdienstleistungen bleiben jedoch unberücksichtigt. Wissenschaftlichen Analysen zufolge werden jedoch 20 Prozent des CO2-Ausstoßes durch Systemdienstleistungen verursacht. Diese sind erforderlich, um Energiesysteme stabil betreiben und nach Störungen wieder in einen sicheren Zustand überführen zu können.
Optimaler Energiemix für Thüringen
Damit die Systemdienstleistungen unter Ausnutzung der Sektorenkopplung von Wärme, Gas und Strom CO2-frei gestaltet werden können, entwickeln Forscherinnen und Forscher am Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST des Fraunhofer IOSB ein komplexes IT-Ökosystem bestehend aus Hard- und Softwarelösungen und modellieren im ersten Schritt den optimalen Technologiemix für Thüringen. Dabei berücksichtigen sie ein innovatives Szenario, das durch Erneuerbare Energien-Anlagen und Speicher- und Wasserstofftechnologien geprägt ist, sowie ein konservatives Szenario, das Power-to-Gas und Gaskraftwerke in die Berechnung einbezieht. »Unser Ziel ist es, die Thüringer Energieversorgung bis 2050 CO2-neutral zu gestalten und dafür die kostenoptimale Variante zu ermitteln. Wenn der berechnete sektorenübergreifende Technologiemix für den stabilen Netzbetrieb ausreicht, wird die dabei freigesetzte CO2-Emission bestimmt. Ist kein stabiler Betrieb möglich, erfolgt eine Rückkopplung zur Energiesystemplanung«, erläutert Steffi Naumann, Wissenschaftlerin und Projektleiterin am Fraunhofer IOSB-AST. Das Optimierungsmodell zeigt die Technologien an, die idealerweise in einem künftigen Technologiepark in Thüringen installiert werden sollen, unter der Voraussetzung, möglichst wenig Treibhausgase zu emittieren.
IT-Ökosystem für die Nullemission
Für den operativen Betrieb konzipiert das Forscherteam am Fraunhofer IOSB-AST IT-Systeme zum Monitoring der aktuellen CO2-Emissionen, aber auch für das Management von Flexibilitätsangeboten. »Will man die globale Freisetzung von Treibhausgasen minimieren, so sind IT-Systeme erforderlich, um die komplexen dynamischen Wechselwirkungen von vorrangig auf Erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgungsystemen zu beherrschen und einen sicheren und zuverlässigen Betrieb jederzeit zu gewährleisten. Mit ihnen lassen sich bspw. auch Prognosen für CO2-Emissionen, basierend auf der Energieeinsatzplanung des Energieversorgungssystems und der zu versorgenden Unternehmen, visualisieren«, sagt Juliane Sauerbrey, Kollegin von Steffi Naumann im Projekt ZO.RRO. Die Forscherin und ihr Team schnüren ein Bündel aus Hard- und Software zu einem komplexen IT-Ökosystem. Dieses umfasst mit der ZO.RRO Box ein Sensorsystem, das die Verbrauchswerte etwa von Strom und Gas liefert, die in das CO2-Äquivalent umgerechnet werden und die auf die aktuellen CO2-Emissionen schließen lassen. Hinzu kommen eine Datenbank und ein CO2-Monitoring-Tool, das den aktuellen CO2-Fußabdruck an ein Supervisionssystem sendet und Optimierungspotenziale im Betrieb schneller sichtbar macht. Da das Monitoring-Tool eine Live-Überwachung ermöglicht, können die größten CO2-Verursacher identifiziert werden. Unternehmen profitieren von einem monetären Zugewinn, da sie ihre CO2-Ausgaben minimieren, indem sie die ansonsten anfallenden Kosten für CO2-Zertifikate einsparen. »Das Besondere an unserem Tool ist neben dem Live-Monitoring die Berücksichtigung der Sektorenkopplung«, so Sauerbrey.
Komplettiert wird das Bündel an Lösungen durch eine Software für das Management von Flexibilitätsangeboten. Mit diesem Tool lassen sich vorhandene Flexibilitäten zur Verschiebung von Gas-, Wärme- und Stromlasten nutzen, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren und CO2-freie Systemdienstleistungen anbieten zu können. Die Hard-und Softwarelösungen können beispielsweise in Unternehmen, Stadtwerken, Quartieren und Ministerien installiert werden. »Natürlich profitieren auch Privathaushalte von dem neuen Energiekonzept. Ein Drei-Personen-Haushalt verbraucht ca. 2600 bis 3900 KWh pro Jahr. Bei einem Emissionsfaktor von 500g/kWh des deutschen Strommixes entspricht das bis zu 1,95 Tonnen CO2 pro Jahr und je nach CO2-Preisentwicklung zwischen 80 und 350 €/Jahr allein an CO2-Kosten für Strom. Mit unserem Ansatz wollen wir den CO2-Fußabdruck drastisch verringern und damit auh die Kosten für Haushalte stark senken«, sagt die Forscherin.
Forschungsansätze auf alle Bundesländer übertragbar
In Thüringen entsteht das Modell für ein kostengünstiges und klimaneutrales Energieversorgungssystem. Die Methoden aus dem ZO.RRO-Projekt lassen sich jedoch auf jedes Bundesland und sogar auf ganz Deutschland übertragen. Das Vorhaben, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi und vom Freistaat Thüringen gefördert wird, endet im Dezember 2021. Im Anschluss startet die Demonstratorphase unter Einbeziehung von Unternehmen und Kooperationspartnern, die die IT-Systeme testen.