Seit der Corona-Pandemie sind viele Unternehmen gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu verändern und Staaten geben kurzfristig sehr viel Geld aus, um die Wirtschaft zu stützen. Jedoch sind Förderprogramme und Vergabeverfahren öffentlicher Gelder bislang nicht klimafreundlich genug. Damit die notwendige Transformation nachhaltiger und schneller umgesetzt werden kann, brauchen Investitionen und Fördermittel eine klare Ausrichtung und sollten als tatkräftiger Impulsgeber wirken. Doch wie gelingt dies in der Praxis? Dafür entwickelten der WWF Deutschland und das Wuppertal Institut den vierstufigen Leitfaden „Nachhaltigkeitsfilter für öffentliche Mittel“.
Öffentliche Mittel für die Unterstützung von Unternehmen sollten bestenfalls so eingesetzt werden, dass sie eine möglichst große, nachhaltige Wirkung haben und mit einem gesellschaftlichen Nutzen verbunden sind. Das kann unmittelbar erfolgen, in dem die konkrete Förderung an bestimmte Vorgaben gebunden wird, wie etwa den Ausbau von zukunftsfähigen Infrastrukturen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, die Risikoabsicherung von Unternehmen – beispielsweise über Bürgschaften oder andere geeignete Finanzierungskonditionen – an der Nachhaltigkeitsperformance der Unternehmen auszurichten.
Grundlage für die zielorientiertere Vergabe von Mitteln
Der Leitfaden „Nachhaltigkeitsfilter für öffentliche Mittel“, den der WWF Deutschland und das Wuppertal Institut entwickelt haben, dient als Grundlage für die zielorientiertere Vergabe von Mitteln und deren praktische Umsetzung. Er baut auf der von der Europäischen Union entwickelten „Taxonomie“ für nachhaltige Investitionen auf. Darin enthalten sind Grenzwerte, welche die Nachhaltigkeitsperformance wirtschaftlicher Aktivitäten definieren. Auf diese Weise lässt sich filtern, ob ein wirtschaftliches Vorhaben zukunftsfähig ist. Hierbei unterstützt der „Entscheidungsbaum“ des Leitfadens die Anwendung der EU-Taxonomie als Regelwerk.
„Mithilfe der Taxonomie und unseres hierarchisierten Verfahrens lässt sich schon heute eine Vielzahl unterschiedlichster Aktivitäten nachhaltig steuern. Im Kern geht es darum, die Beantragung öffentlicher Mittel für nachhaltige Wirtschafsaktivitäten, aber auch ihre Prüfung und Lenkung, zu erleichtern“, sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. So könne die öffentliche Hand einerseits in konkrete Projekte, wie die Produktion von Elektrofahrzeugen, investieren, andererseits allgemein die klimaneutrale Transformation der gesamten Wirtschaft vorantreiben.
In vier Schritten geplante Förderungen einordnen
Der WWF Deutschland und das Wuppertal Institut illustrierten den „Nachhaltigkeitsfilter für öffentliche Mittel“ anhand von drei Fallbeispielen: Investitionen durch nachhaltigkeitsrelevante Unternehmen, Flottenaustausch für das Handwerk sowie Bonusprogramme für Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und Zulieferindustrie. Der Leitfaden folgt vier aufeinander aufbauenden Stufen. Fällt eine geplante Förderung durch alle vier Prüfschritte, sollte sie nicht erfolgen. Das Modell lässt sich für unterschiedlichste Kapitalvergabeentscheidungen, Förderprogramme und Konjunkturmaßnahmen anwenden.
Stufe 1. des Leitfadens prüft zunächst Nachhaltigkeitsrelevanz des Mittelempfängers
Hat die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens keine relevanten negativen ökologischen Auswirkungen, kann es Fördermittel erhalten. In der zweiten Stufe wird geprüft, ob die von den öffentlichen Mitteln unterstützte wirtschaftliche Tätigkeiten des Unternehmens im Einklang mit den Grenzwerten der EU-Taxonomie stehen. Sind bestimmte Vorhaben nicht in der Taxonomie erfasst und liegen dafür keine Grenzwerte vor, prüft die dritte Stufe spezifisch bezogen auf das einzelne Vorhaben, ob Innovationen gefördert werden sollen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette einen positiven Effekt erzielen – etwa im Bereich der Einsparung von Materialen und Rohstoffen.
„Die Zuliefererindustrie in Deutschland ist sehr divers aufgestellt und nur mittelbar an den Endprodukten beteiligt. Gerade für diese Industrien ist es deshalb sinnvoll, die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten und auch Nachhaltigkeitsinnovationen zu fördern, die zwar zunächst anderen Akteuren, aber letztlich allen zu Gute kommen“, erläutert Jens Teubler, Autor des Leitfadens und Senior Reseracher im Forschungsbereich Produkt- und Konsumsysteme in der Abteilung Nahchaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut. Eine Prüfung in der vierten und letzten Stufe erfolgt, wenn keine der oben genannten Ebenen angewendet werden kann. In dieser Kategorie sollen Mittel nur unter der Voraussetzung vergeben werden, dass sich Unternehmen wissenschaftsbasierte Klimaziele setzen und ihren Fortschritt bei der Transformation nachweisen.
Hintergrund zur EU-Taxonomie
Die Verordnung der EU-Taxonomie definiert Nachhaltigkeitskriterien mit Grenzwerten für wirtschaftliche Tätigkeiten. Sie ist ein Regelwerk, das bereits in den meisten klima- und nachhaltigkeitsrelevanten Wirtschaftssektoren wissenschaftsbasierte Standards setzt. Der Verordnung zufolge muss eine wirtschaftliche Aktivität einen Beitrag zur Erreichung von einem von sechs definierten Zielen leisten, ohne den anderen signifikant zu schaden: Beispiele sind Klimaschutz, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen. Dieses sogenannte „Do-No-Harm“-Prinzip sollte nach Ansicht der Autoren Vorraussetzung bei allen Kapitalvergabeentscheidungen sein.