Wissenschaftler vom Kunststoffzentrum SKZ in Halle haben im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) ein zertifiziertes Verfahren entwickelt, das Reparaturen an Rotorblättern von Windkrafträdern jetzt nahezu ganzjährig möglich macht. Bislang waren dazu Temperaturen von mindestens 16 Grad Celsius nötig, was zu einem häufigen, oft monatelangen Stillstand defekter Anlagen führte. Mit ihrem Projekt waren sie unter den TOP 3 der Finalisten für den Otto von Guericke-Preis 2020 der AiF.
Die Windkraft leistet in Deutschland den größten Beitrag zur Stromerzeugung. Über 21 Prozent des deutschen Stroms stammt aus Windenergie. Dafür sorgen derzeit landesweit rund 30.000 Windkraftanlagen; Tendenz steigend. Die Rotorblätter sind die am stärksten belasteten Bauteile einer Windenergieanlage, denn sie sind Niederschlägen und anderen Witterungseinflüssen wie beispielsweise UV-Licht ausgesetzt. Regentropfen oder Hagel, die mit hoher Geschwindigkeit auf die Rotorblätter auftreffen, hinterlassen häufig deutliche Spuren. Schäden am Rotorblatt sind im Regelbetrieb an der Tagesordnung.
Neuer Reparaturmechanismus erlaubt maximale Energieausbeute
Nach den bisherigen Richtlinien waren Reparaturen am Rotorblatt nur unter bestimmten Wetterbedingungen und ab einer Mindesttemperatur von 16°C möglich. Damit blieben bislang durchschnittlich nur 100 Tage im Jahr, an denen schadhafte Stellen ausgebessert werden konnten. Im ungünstigsten Fall führten die Rahmenbedingungen in der Vergangenheit zu ausgedehnten Stillständen von Anlagen und damit zu enormen Ausfällen bei der Energiegewinnung. Eine Lösung für dieses Problem haben jetzt drei Wissenschaftler:innen im Rahmen eines vom AiF-Mitglied Fördergemeinschaft für das Süddeutsche Kunststoff-Zentrum e.V. (FSKZ) koordinierten Projekts der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) gefunden: Dr.-Ing. Jana Fiedler vom SKZ – Das Kunststoff-Zentrum in Halle und ihre Kollegen Dr.-Ing. Ralf Schlimper und Dipl.-Ing. Thomas Wagner, beide vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Halle, haben ein zertifiziertes Verfahren entwickelt, das Reparaturen bei deutlich niedrigeren Temperaturen als bisher und damit fast das ganze Jahr über möglich macht. Mit dem IGF-Projekt war das Hallenser Team im Oktober 2020 unter den drei Finalisten für den Otto von Guericke-Preis der AiF. Der Forschungspreis wird einmal im Jahr für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der IGF vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. Die vorwettbewerbliche IGF wird im Innovationsnetzwerk der AiF und ihrer 101 Forschungsvereinigungen organisiert und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit öffentlichen Mitteln gefördert.
Hitze im Vakuum hilft
„Unter der von uns entwickelten Heiz-Vakuumhaube können schadhafte Stellen auf den Rotorblättern jetzt schon ab 6°C Außentemperatur nahezu ganzjährig und weitestgehend witterungsunabhängig instand gesetzt werden“, erklärt Fiedler. „Die schadhafte Stelle wird mit der Haube einfach von der Außenwelt und den herrschenden Witterungsbedingungen abgeschirmt“, so die Ingenieurin weiter. „Das ist ein enormer Fortschritt, denn gerade die kälteren Monate sind besonders ertragreich für Windparks“.
Thomas Heinecke, Projektingenieur bei der mittelständischen cp.max Rotortechnik GmbH & Co. KG in Dresden, ist überzeugt: „Von dem neuen einfachen und zeitsparenden Verfahren profitieren wir als Dienstleister genauso wie die Betreiber. Wir verzeichnen weniger Stillstand, benötigen kürzere Reparaturzeiten und erreichen im Endeffekt sogar eine längere Lebensdauer der Anlagen“. Das Unternehmen war als Industriepartner an der Entwicklung der neuen Heiz-Vakuumhaube beteiligt und hat das innovative Reparaturverfahren mittlerweile zertifizieren lassen.
Musterbeispiel für die IGF
„Wir sehen hier ein echtes Musterbeispiel für die IGF“, betont SKZ-Geschäftsführer Dr.-Ing. Thomas Hochrein, selbst ehemaliger Otto von Guericke-Preisträger von 2009. „Die Ergebnisse sind eine solide Grundlage für neue technische Richtlinien und Reparaturanweisungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Außerdem können sie auf weitere Branchen, wie beispielsweise den Automobil- und Schiffsbau, übertragen werden. Da die Erkenntnisse des ausgezeichneten IGF-Projekts in einem Projekt des anwendungsnäheren Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) weitergeführt wurden, konnten wir innerhalb von nur fünf Jahren ein marktreifes Produkt liefern“, freut sich Hochrein.
Einen vierminütigen Film zum Projekt und kurze Vorstellungen aller nominierten IGF-Projekte finden Sie auf der Website der AiF. https://www.aif.de/ueber-uns/auszeichnungen/otto-von-guericke-preis.html