Menschen sind gewinn- und genussorientiert. Wir reisen gern und gehen gerne essen, gehen auf Partys und pflegen unsere Freundschaften. Menschen können aber auch dazu motiviert werden, ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung zurückzustellen. „Politische Entscheidungsträger*innen können sich diese Eigenschaft des Menschen gerade jetzt zunutze machen und die Effektivität der Corona-Maßnahmen erhöhen“, sagt der Sozialpsychologe Prof. Ulrich Wagner. „Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass ihnen erklärt wird, warum und wie genau sie handeln sollen, und wie lange sie voraussichtlich mit Einschränkungen leben müssen.“
Die gegenwärtigen Maßnahmen von Bundes- und Landesregierungen sind wesentlich von bürokratischen Überlegungen und Prinzipien der Gerichtsfestigkeit geprägt. Sie vernachlässigen dabei wichtige psychologische Mechanismen, die die Akzeptanz und Umsetzung von Maßnahmen bestimmen. In der öffentlichen Diskussion über die Corona-Maßnahmen der Regierung wird zum Beispiel immer wieder deutlich, dass in der Bevölkerung Unsicherheit existiert hinsichtlich der tatsächlichen Gefährdungslage sowie über die Frage, was jeder tun sollte. Studien zeigen, dass ein Großteil der Menschen wissenschaftlichen Befunden durchaus vertraut. Für die aktuelle Situation brauchen die Menschen allerdings noch mehr: Sie brauchen psychologische Kontrolle, das heißt: nachvollziehbare Begründungen für politische Entscheidungen (Erklärbarkeit), klare Verhaltensregeln, die die Möglichkeit bieten, Dinge beeinflussen zu können (Beeinflussbarkeit), und eine zeitliche Perspektive für die Verhaltensänderungen (Vorhersehbarkeit).
Erklärbarkeit: Nachvollziehbare Begründungen sind notwendig
Die gegenwärtige Schließung von Lokalen erscheint vielen ungerechtfertigt. „Hier wäre es günstig, wenn politische Entscheidungsträger*innen noch transparenter kommunizieren würden, wie sie diese Schließungen begründen“, erklärt Markus Bühner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs).
„Dabei ist es besonders wichtig zu erklären, wie die zugrundeliegenden Abwägungen getroffen wurden.“ Aus der Forschung weiß man, dass Menschen überzeugt werden können, wenn man ihnen konsistent stichhaltige Argumente dafür vorträgt, warum sie etwas tun sollen. Theaterbesuche bringen zum Beispiel nicht nur mögliche Gefährdungen in den Veranstaltungsorten mit sich, sondern auch Gefahren, die mit der notwendigen An- und Abreise zusammenhängen. Solche Hintergründe von Corona-Verordnungen mehr und nachvollziehbarer zu thematisieren, kann zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen. „Das bedeutet übrigens nicht das rigide Wiederholen des immer Gleichen“ sagt Ulrich Wagner. „Argumente können durchaus revidiert werden, wenn man gute und glaubhafte Gründe sowie neue Erkenntnisse dafür nennen kann.“
Beeinflussbarkeit: Menschen brauchen klare Verhaltensregeln
Viele der Regelungen und Informationen erreichen Bürger*innen auf einem Abstraktionsniveau, das die Umsetzung in praktisches Handeln schwierig macht. AHA-L heißt Abstand, Hygiene-Maßnahmen beachten, Alltagsmasken tragen, lüften. Das klingt auf den ersten Blick einleuchtend und leicht umsetzbar. Im Alltag bleiben allerdings Fragen offen: Was bedeuten die 1.5 Meter Abstand? Dafür sind anschauliche Beispiele notwendig, die konkret erklären, dass 1.5 Meter bei den meisten Erwachsenen eine doppelte Armlänge bedeuten, und nicht nur eine einfache. Sind die Komponenten „Abstand halten“ und „Alltagsmasken tragen“ mit einem „und“ oder einem „oder“ verbunden? Kann man den empfohlenen Abstand von 1.5 Metern guten Gewissens unterschreiten, wenn eine Alltagsmaske getragen wird? Hierzu wäre es wünschenswert, wenn politische Entscheidungsträgern stärker auf die Unterstützung durch mediale Formate setzen würden, in denen den Bürgern immer wieder anschaulich erklärt wird, wie die Regelungen zu verstehen sind. Dadurch könnten Unsicherheiten und damit einhergehende unbeständige Verhaltensweisen reduziert werden. Als „best practice“ – Beispiele für die Umsetzung könnten andere erfolgreiche, deutschlandweite Präventionskampagnen wie zum Beispiel die „Gib Aids keine Chance“-Kampagne dienen.
Änderungen von Verhaltensgewohnheiten setzen Vorbilder voraus
Die gegenwärtigen Corona-Handlungsempfehlungen und -vorschriften widersprechen vielen liebgewonnen Gewohnheiten: In manchen Kreisen ist es beispielsweise üblich, auch nur entfernte Bekannte mit einer Umarmung zu begrüßen. Unsere Kultur sieht bestimmte Abstände im Reden miteinander vor, davon abzuweichen kann als Unhöflichkeit begriffen werden. Änderungen in solchen Verhaltensgewohnheiten setzen Vorbilder voraus. Dazu brauchen wir Beispiele. Auch hier würden sich Fernsehspots und Videos in sozialen Medien sehr gut eignen, in denen ganz konkret an Beispielen veranschaulicht wird, wie wir unser Verhalten in solchen Situationen richtig anpassen können.
Vorhersehbarkeit: Zeitperspektiven kommunizieren
Für die Akzeptanz von Einschränkungen sind Zeitperspektiven hilfreich. Wie lange werden wir verzichten müssen? Befragungen zeigen, dass die Menschen bei einer Entscheidung zwischen kurzfristigen harten oder langfristigen milderen Corona-Einschränkungen die erste Alternative bevorzugen.
„Natürlich sind Zeitprognosen gegenwärtig schwierig und man sollte damit nicht leichtfertig umgehen“, räumt Ulrich Wagner ein. „Wenn sich aber herausstellt, dass es gute neue Fakten und Argumente dafür gibt, Einschränkungen am Ende der vorher angekündigten Laufzeit doch fortzusetzen, und dies angemessen kommuniziert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dies auch von der Bevölkerung akzeptiert wird.“
„Die Verbreitung des Corona-Virus wird durch menschliches Verhalten beeinflusst“, sagt Markus Bühner. „Psychologen verfügen über ein umfassendes empirisches Wissen darüber, wie Verhaltensweisen entstehen und aufrechterhalten werden – aber auch, wie sie sich verändern können. Dieses Wissen bieten wir den politischen Entscheidungsträger*innen an, um bei der Gestaltung und Umsetzung der aktuell notwendigen Maßnahmen mitzuwirken.“