Die Randbedingungen für den Betrieb von Windenergieanlagen haben sich verändert. Daher sollten Anlagenbetreiber und Direktvermarkter zukünftig die aktuellen Produktionskosten ihrer Anlagen kennen und diese auch für Zeiträume in der Zukunft vorhersagen können, um die Windräder ökonomisch vorteilhaft einsetzen zu können. In dem vom BMWi geförderten Forschungsprojekt »KORVA« entwickeln das Fraunhofer IEE in Kassel zusammen mit Industriepartnern neue Betriebs- und Regelungsstrategien für Windenergieanlagen unter Berücksichtigung variabler Anlagenlaufzeit und veränderlicher Strommarktpreise.
Beim Betrieb von Windparks haben sich in den letzten Jahren zwei wesentliche Rahmenbedingungen geändert. Zum einen werden Anlagen zunehmend abnutzungsorientiert betrieben, also über ihre nominale Lebensdauer hinaus. Zum anderen wird Windstrom nicht mehr mit festen Einspeisetarifen vergütet, sondern vermehrt marktorientiert an der Strombörse gehandelt. Zukünftig ist damit zu rechnen, dass die schwankenden Marktpreise stärker als bisher an die Betreiber weitergegeben werden. Kombiniert man beide Effekte, so ergeben sich neue Möglichkeiten für die wirtschaftliche Optimierung des Windparkbetriebs.
Hier setzt das 2019 gestartete Forschungsprojekt KORVA des Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE an: Zusammen mit Partnern entwickeln die Kasseler Forscher neue Konzepte und Verfahren, die den Betrieb von Windenergieanlagen bei variabler Laufzeit und veränderlichen Strommarktpreisen wirtschaftlich verbessern sollen. Besonderes Augenmerk legen die Experten dabei auf die Kosten, die durch die Abnutzung der Anlagen entstehen – diese Kosten variieren, abhängig von den aktuellen Windverhältnissen sowie der Betriebsart.
Ziel der Forscher ist es, ein Regelungssystem zu entwerfen, mit dem die Anlagenbetreiber ein jeweils optimales Verhältnis zwischen den Erträgen an der Strombörse und den Produktionskosten herstellen können.
Windenergieanlagen werden heute meist immer noch so betrieben, als erhielte man für den produzierten Strom eine fixe Vergütung – die Preisschwankungen an der Strombörse bleiben unberücksichtigt, ebenso die variierenden Produktionskosten. »Vereinfacht gesagt speisen Anlagenbetreiber heute dann Strom ein, wenn Wind da ist; der Direktvermarkter kümmert sich dann um den Verkauf«, sagt Dr. Martin Shan, der am Fraunhofer IEE die Abteilung Regelungstechnik leitet.
»Wir wollen ihnen im Rahmen von KORVA ein datengetriebenes Instrument in die Hand geben, mit dem sie den Zeitpunkt der Einspeisung und die Art des Anlagenbetriebs wirtschaftlich optimieren können.« Dabei spielt der Freiheitsgrad der variablen Anlagenlebensdauer – also die Möglichkeit, den Anlagenbetrieb zeitlich zu verschieben – eine entscheidende Rolle.
Um sämtliche Aspekte dieser Aufgabe abzudecken, beteiligen sich neben dem Fraunhofer IEE auch Nordex als Hersteller, ABO Wind als Betreiber, Steag und Statkraft als Direktvermarkter und der TÜV Süd als Zertifizierer an dem Forschungsvorhaben. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanzierte Projekt läuft noch bis Ende 2021. Koordiniert wird es vom Fraunhofer IEE. »KORVA verknüpft technische und ökonomische Fragen – eine Kernkompetenz unseres Instituts«, sagt Shan.
Produktionskosten sind von variablen Faktoren abhängig
Eine zentrale Aufgabe des Projektes liegt darin, Abnutzungs- und Produktionskostenmodelle für Windenergieanlagen zu entwickeln, die auf der Beanspruchung der elektrischen und mechanischen Komponenten basieren. Wie hoch die Abnutzung und damit die Produktionskosten sind, hängt von mehreren variablen Faktoren ab: unter anderem von der mittleren Windgeschwindigkeit, den Turbulenzen des Windfeldes und der Betriebsweise der Anlagen.
»Anlagenbetreiber und Direktvermarkter sollten zukünftig die aktuellen Produktionskosten kennen und diese auch für Zeiträume in der Zukunft vorhersagen können, um die Windräder ökonomisch vorteilhaft einsetzen zu können«, sagt Shan.
Neue Verfahren zur Auslegung und Zertifizierung der Anlagen
Ein weiterer Aspekt des Forschungsprojekts ist die Auslegung und Zertifizierung von Windenergieanlagen: Während Anlagen derzeit noch auf eine fixe Laufzeit, beispielsweise von zwanzig Jahren, ausgelegt werden, so könnte es angesichts eines variableren Betriebs künftig durchaus sinnvoll sein, die Abnutzung über die gesamte Lebensdauer zur maßgeblichen Größe zu machen. Damit würde es möglich, die während einer Drosselung oder Abregelung der Anlage eingesparte Laufzeit später nachzuholen. »Das verlangt allerdings eine grundlegende Änderung der Auslegungs- und Zertifizierungsmethodik«, erläutert Shan. Zudem muss regelmäßig der Ist-Zustand der Anlage erfasst werden. Im Rahmen von KORVA wollen die Partner neue Herangehensweisen für eine solche abnutzungs- oder schädigungsorientierte Auslegung und Zertifizierung von Windrädern entwickeln.
Zusammenspiel der Partner
All diese Konzepte lassen sich nur im Zusammenspiel von Hersteller, Betreiber und Direktvermarkter umsetzen. Ebenso ist der Einbezug des Zertifizierers, von technischen Gutachtern und gegebenenfalls von Service-Dienstleistern erforderlich. Eine wesentliche Herausforderung im KORVA-Projekt ist der Entwurf geeigneter Kommunikations-Schnittstellen zwischen allen diesen Akteuren. Sie sollen es möglich machen, die Informationen zu Kosten und Erlösen in konkrete Betriebs- und Regelungsstrategien zu übersetzen. Dabei muss das System so flexibel sein, dass die individuellen Bedingungen des jeweiligen Standorts berücksichtigt werden.
Um die entwickelten Verfahren und Modelle in der Praxis zu erproben, planen die Forscher, damit Feldtests in einem Windpark durchzuführen. Sie werden durch umfangreiche Tests des Gesamtsystems in einem simulierten Windpark im Labor ergänzt.