Ärztliche Versorgung in den ländlichen Räumen

hfe. Die Frage, ob die Einwohnerzahl Deutschlands in den kommenden Jahrzehnten weiter sinken wird, lässt sich nach der verstärkten Zuwanderung der vergangenen Jahre nicht mehr so einfach beantworten. Feststellen lässt sich aber sehr wohl, dass Deutschland bei den Geburtenziffern trotz eines Anstiegs mit 1,5 Kindern je Frau weiterhin unter dem Durchschnitt der Europäischen Union liegt. Damit ist Eines ganz sicher: Die deutsche Bevölkerung wird im Schnitt zukünftig deutlich älter sein als heute. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass 2060 jeder dritte Deutsche mindestens 65 Jahre alt sein wird. Diese Entwicklung können wir in allen Bereichen der Gesellschaft und auch in fast allen Berufsgruppen sehen. Und bei einer dieser Berufsgruppen zeichnen sich deutliche Auswirkungen für die ländlichen Räume ab: Dreißig Prozent der insgesamt 54 000 Hausärzte in Deutschland ist heute älter als 60 Jahre. Viele dieser Mediziner werden in absehbarer Zeit in den Ruhestand und dies vielfach ohne einen Nachfolger gefunden zu haben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) stellt fest, dass es Ende 2016 bundesweit 2727 unbesetzte Praxen gegeben hat und prognostiziert gleich einen weiteren Schwund um rund 10 000 Hausärzte bis zum Jahr 2030. Und hier muss in beunruhigender Weise festgestellt werden: Diese Entwicklung vollzieht sich, wie eingangs erwähnt, in einem Land, dessen Bevölkerung immer älter und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch immer kränker wird.  [1]

Weniger Ärzte und potentiell mehr Patienten, was bedeutet dies für die Menschen auf dem Land? Ein erster Blick in den Versorgungsatlas zeigt regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung und deren Ursachen auf. Der Atlas ist eine öffentlich zugängliche Informationsquelle zu Themen aus der medizinischen Versorgung in Deutschland. Eine der Einschätzung, die oftmals lapidar hingenommen wird, obwohl wir hier einen grundgesetzwidrigen Umstand konstatieren müssen, lautet: Regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung sind keine Ausnahme, sondern national und international eher eine Regel.[2] „Unerwünschte Unterschiede in der Qualität der Versorgung können für Patienten große Bedeutung haben und sind eine Herausforderung für die Verantwortlichen in Politik und Krankenkassen sowie für niedergelassene Ärzte und Kliniken.“ sagt Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum, Leiter des Bereichs Versorgungsatlas am Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland.[3]

Das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherung (WIP) kommt in einer Analyse einer OECD Studie zu der Einschätzung, dass in der Bundesrepublik Deutschland, ebenso wie in anderen Ländern wie beispielsweise Österreich, Norwegen oder der Schweiz, eine Gesundheitsversorgung durch Allgemein- und Fachmediziner umfassend gewährleistet ist. Deutschland liege bei den betrachteten Ländern auf Rang fünf hinter Schweden (4,2) mit 4,1 Ärzten auf 1000 Einwohner und damit über dem Durchschnitt der in der Vergleichsuntersuchung betrachteten Länder (3,4 Ärzte auf 1000 Einwohner).  Das Institut macht allerdings auch deutlich, dass sich in allen untersuchten OECD-Ländern, die auch wirtschaftlich vergleichbar seien, ein Mangel an Ärzten auf dem Land abzeichne. Ärzte wählten in den Vergleichsländern immer öfter Ballungszentren für ihre Niederlassung, so die Studie weiter.[4]

Die gesetzlichen Krankenkassen haben einen etwas anderen Blick auf die aktuelle Lage. Auch ihnen ist die Gefahr eines ärztlichen Nachwuchsmangels bewusst – gleichzeitig wird jedoch betont, dass die Anzahl der Haus- und Fachärzte noch deutlich über dem ermittelten Bedarf liege. Probleme würden sich derzeit vor allem ergeben, weil sich die Praxen regional sehr ungleich verteilen. Während Patienten in Ballungsgebieten eher überversorgt seien, gelte für viele Bewohner ländlicher Regionen das Gegenteil.

Auch die Bertelsmann Stiftung sieht Problem für die ländlichen Räume. Sie bezieht sich auf eine Studie der OECD und auf eigener Annahmen aus einer Untersuchung zu Arztgruppen, die Patienten wohnortnah versorgen und stellt fest: „Auch die Sitze der fünf neu untersuchten Facharztgruppen werden zukünftig nicht gerechter zwischen Stadt und Land verteilt.“[5] Dies genau war Ziel der überarbeiteten Bedarfsplanung.  Auch künftig sollen Fachärzte auf dem Land viel mehr Einwohner versorgen als ihre Kollegen in der Stadt. Die entsprechende Richtlinie schreibt zum Beispiel vor, dass auf einen Psychotherapeuten in der Großstadt 3.079 Einwohner kommen. In ländlichen Regionen sind es hingegen 5.953, also fast doppelt so viele. Nervenärzte auf dem Lande sollen sogar 127 Prozent mehr Menschen versorgen als ihre Kollegen, die in Städten praktizieren. Begründet wird dieses Ungleichgewicht damit, dass Ärzte in Städten Patienten aus dem Umland mitversorgen sollen. Somit wird das Stadt-Land-Gefälle zementiert.[6]

[1] http://www.kbv.de/html/themen_1076.php

[2] https://www.versorgungsatlas.de/

[3] ebenda

[4] http://www.wip-pkv.de/forschungsbereiche/detail/regionale-verteilung-von-aerzten-in-deutschland-und-anderen-ausgewaehlten-oecd-laendern.html

[5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/faktencheck-gesundheit/projektnachrichten/aerztedichte/

[6] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_Faktencheck_Gesundheit_Aerztedichte_2.pdf