Leibniz-Campus schafft Grundlagen für grüne Chemie

Symbolbild: Rundkolben im LIKAT Labor LIKAT/Nordlicht

Wie lassen sich chemische Prozesse zur Herstellung von Allerwelts-Chemikalien nachhaltiger, umweltfreundlicher und wirtschaftlicher als bisher gestalten? Zum Beispiel ohne hohe Temperaturen und organische Lösungsmittel? Für die industriell bedeutende Reaktion der Hydroformylierung fand das Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock eine Antwort. Dort nutzt man ein strukturell verändertes Enzym, das unter milden Reaktionsbedingungen die Herstellung von Aldehyden, wichtige Grundchemikalien, katalytisch steuert. Diese Grundlagenforschung läuft im Rahmen des Leibniz-WissenschaftsCampus ComBioCat.

Foto: Leibniz-Institut für Katalyse

Enzyme sind Biokatalysatoren, die in Organismen z.B. Nahrungsbestandteile für eine optimale Verwertung aufschließen. Das geschieht hochselektiv sowie bei Körpertemperatur und unter Normaldruck. Derart sanfte Reaktionsbedingungen sähen Forscher gern auch anstelle harscher chemischer Prozesse, die heute vielfach noch die Chemie bestimmen.
Ihr Ziel ist eine „grüne Chemie“, und die Grundlagen dafür entstehen derzeit weltweit in Laboren. Mit dem Projekt ComBioCat, für vier Jahre mit 1,13 Millionen Euro von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert, hatte LIKAT-Chemiker Prof. Dr. Paul Kamer (1960 – 2020) dazu einen exklusiven WissenschaftsCampus in den Nordosten geholt.

Weniger Aufwand und Ressourcen

Im Campus sollen Expertisen aller katalytischen Disziplinen verknüpft werden, um Biokatalysatoren und auch Chemokatalysatoren für die Produktion von Polymeren, medizinischen Wirkstoffen und anderen Basis- und Feinchemikalien zu entwickeln. „Ihr Einsatz würde Aufwand und Kosten chemischer Prozesse erheblich senken und Ressourcen schonen“, sagt Doktorand Jan-Ole Moritz, der am LIKAT über die katalytische Reaktion von Alkenen zu Aldehyden promoviert.
Aldehyde werden massenhaft u.a. in Lösungs- und Konservierungsmitteln sowie als Grundstoffe in der Kosmetikindustrie verwendet. Im Labor nimmt Jan-Ole Moritz 1-Octen als Ausgangsstoff, ein nahezu wasserunlösliches Alken, das in wässriger Lösung mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff zum Aldehyd reagiert. Industriell geschieht dies mittels eines Metall-Katalysators bei einem Druck bis zu 100 bar und Temperaturen bis 100 Grad Celsius sowie einem organischen Lösungsmittel. Bei Jan-Ole Moritz erledigt ein Enzym die Aufgabe des Katalysators unter wesentlich milderen Bedingungen.

Biokonjugation

Der Chemiker hat das Enzym zuvor gentechnisch mit Ankerstellen versehen, an denen das katalytische Bauteil andocken kann: ein von Phosphor-Liganden gestütztes Metall, das aktive Zentrum des Katalysators. Diese kombinierte Reaktion von Bio- und klassischen chemischen Molekülen zu einem künstlichen Metall-Enzym-Komplex bezeichnen Chemiker als Biokonjugation. „Die chemischen Eigenschaften des Metallzentrums sorgen für die Aktivität des Komplexes. Die Protein-Natur des Enzyms bewirkt die hohe Selektivität“, sagt Jan-Ole Moritz.
Er erläutert auch, was das heißt: „Zu den besonderen Eigenschaften des Enzyms zählt z.B. eine Tunnelstruktur. Die erleichtert sozusagen das Vorsortieren der Ausgangsmoleküle.“ Der Tunnel zwingt die Alken-Moleküle in eine bestimmte Position, mit der sie in die Reaktion gehen. Das macht den Prozess so selektiv, weil so das Endprodukt in genau der gewünschten linearen Anordnung entsteht.

Molekulare Falle

Die Tunnelstruktur hilft dem Doktoranden Moritz außerdem, die Grenze der Reaktion zu erweitern. Bei der Hydroformylierung lösen sich die Ausgangsstoffe in Wasser. Dazu eignen sich nur kurzkettige Alkene mit maximal drei bis vier Kohlenstoffatomen im Molekül. Je mehr Kohlenstoffatome die Alkene enthalten, desto fettliebender, damit auch wasserabweisender werden sie. Für die Hydroformylierung sind sie damit unbrauchbar: Sie lösen sich nicht. Durch den Tunnel im Metall-Enzym-Komplex lassen sich jedoch auch langkettige Moleküle mit zehn, zwölf Kohlenstoffatomen in die wässrige Lösung locken, um dort – katalytisch unterstützt – zu reagieren.

Doktorand Jan-Ole Moritz am Schüttelinkubator im S1-Labor am Leibniz-Institut für Katalyse.
Doktorand Jan-Ole Moritz am Schüttelinkubator im S1-Labor am Leibniz-Institut für Katalyse. J.-O. Moritz

Für die Arbeiten hat sich Jan-Ole Moritz, fachlich bislang vor allem in der Phosphorchemie zu Hause, Techniken angeeignet, die eher für Biologen typisch sind: das Anlegen von Zellkulturen für die Produktion der Proteine sowie deren Ernte, gentechnische Veränderung und Reinigung, das sterile Arbeiten nach den gesetzlichen Vorgaben der gentechnischen Schutzverordnung. Eigens für diese Forschung richtete das LIKAT ein Sicherheitslabor ein.

Die Nase vorn

Mit diesen Themen sichert sich das Leibniz-Institut für Katalyse gemeinsam mit seinen drei Partnern, dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und -technologie und den beiden Universitäten in MV, eine gute Position in einem völlig neuen Forschungsfeld. Metall-Enzym-Komplexe werden künftig u.a. helfen, Verfahren für den Einsatz von Bioabfällen zur Grundstoff- und Energieerzeugung zu entwickeln, ein Gegenstand, bei dem das LIKAT die Nase bereits vorn hat. Für die Forscher besteht der Reiz dieses Campus‘ ComBioCat darin, Wirkprinzipen aus der Biologie, Chemie und Physik zu vereinen, um auf lange Sicht Erdöl und -gas als Rohstoffbasis abzulösen.