Ein Forschungsteam der Hochschule für Technik Stuttgart hat erstmals den Trinkwasserbedarf von Wohngebäuden und Nichtwohngebäuden simuliert und dazu ein 3D-Datenmodell für deutsche Städte und Regionen benutzt. Dabei wurden geometrischen Gebäudedaten sowie meteorologische und sozio-ökonomische Daten integriert. Das Team zeigte, dass der Ansatz machbar und belastbar ist: Die Abweichung von realen Trinkwasserverbräuchen betrug weniger als sieben Prozent.
Das Forschungsteam hat damit ein methodisches Problem gelöst: Bislang gab es kein Werkzeug, mit dem man den Wasserbedarf für alle Gebäudetypen wie etwa Wohnhäuser, Büro-, Schul- und Industriegebäude auf der Grundlage eines speziellen 3D-Gebäudemodells, dem CityGML-Modell, simulieren kann. Die Studie im „International Journal of Geo-Information“ entstand innerhalb des Projektes IN-SOURCE. Sie wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie vom europäischen Programm Horizon 2020. Ziel ist es, digitale Lösungen zu entwickeln, um die lebenswichtigen Bereiche Lebensmittel, Wasser und Energie in verschiedenen Regionen zu analysieren. Insgesamt stehen urbane Regionen weltweit vor großen Herausforderungen bei der künftigen Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Energie, auch in Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Trinkwasserbedarf in einzelnen Gebäuden kann analysiert werden
„Mit dem neuen Ansatz können wir den Wasserbedarf auf der Ebene von einzelnen Gebäuden simulieren und analysieren. Bestehende Modelle fokussieren sich eher auf die Simulation von ganzen Kommunen“, erklären Prof. Dr. Bastian Schröter, HFT-Professor für Energietechnik, und Keyu Bao, Doktorand am Zentrum für nachhaltige Energietechnik (zafh.net) an der HFT. Das Team verwendete das bestehende Simulations-Tool SimStadt, das Energieanalysen erstellt und hat dieses Tool nun um die Funktion erweitert, den Trinkwasserbedarf zu analysieren. Von solchen Analysen können insbesondere Kommunen profitieren: „Eine genaue Modellierung des städtischen Wasserbedarfs, die Wohn- und Nichtwohngebiete abdeckt, kann Kommunalverwaltungen oder Infrastrukturplanern helfen, lokale Wasserversorgungsinfrastrukturen besser zu gestalten und das Management lokaler Ressourcen zu verbessern“, erläutern die Forscher.
Das Tool ist auch ideal, um den Wasserbedarf in einem künftigen Baugebiet zu simulieren
Der Wasserbedarf kann anhand verschiedener Skalen simuliert werden: auf Ebene des Gebäudes, des Stadtviertels, der Stadt oder des Landkreises. Bezugsgröße sind dabei die Gebäude. Anstatt den durchschnittlichen Pro-Kopf-Wert des Wasserbedarfs aus übergeordneten Skalen zu verwenden, zum Beispiel von einem Bundesland, können nun mit dem neuen Ansatz Daten wie der lokale Siedlungswasserbedarf pro Kopf sowie die lokalen klimatischen Bedingungen und sozioökonomische Faktoren im Gebiet berücksichtigt werden.
Machbarkeitstest mit Daten aus drei deutschen Regionen
Das Forschungsteam simulierte Szenarien in drei deutschen Landkreisen mit unterschiedlichen klimatischen und sozioökonomischen Bedingungen, um die Durchführbarkeit, Genauigkeit und Belastbarkeit des neuen Wasserbedarfs-Workflows zu testen: Ludwigsburg. Köln und Ilm-Kreis.
Es zeigte sich, dass der Wasserbedarf pro Person differiert
Der Landkreis Ludwigsburg repräsentiert ein typisches süddeutsches Vorstadtgebiet, die Stadt Köln ein dicht besiedeltes städtisches Gebiet und der Landkreis Ilm-Kreis eine eher ländliche Region. Jeder Mensch benötigt 90 bis 150 Liter pro Tag, je nach Bundesland, Alter, Haustyp und Einkommen in Wohngebäuden. Bei Nicht-Wohngebäuden hingegen schwankt der Wasserverbrauch extrem zwischen 0,05 Kubikmeter pro Quadratmeter pro Jahr und 96 Kubikmeter pro Quadratmeter pro Jahr. Unter anderem wurden auch in der Gemeinde Rainau im Ostalbkreis in Baden-Württemberg verschiedene Szenarien analysiert. Untersucht wurde speziell der Bedarf in Bezug auf den Wasserpreis, die Alterung der Bevölkerung und den Klimawandel. Die Ergebnisse: Es zeigte sich, dass der Wasserbedarf pro Person differiert.
So steigt der Wasserbedarf pro Person um 3,6 %, wenn als Faktoren höheres Alter und höhere Temperaturen aufgrund des Klimawandels in die Berechnung einbezogen werden. Dies kann daran liegen, dass ältere Menschen eher zu Hause sind und einen Garten besitzen, den sie bewässern. Je wärmer die Temperaturen, desto mehr Wasser ist erforderlich. In einem anderen künftigen Szenario ist zu erwarten, dass der Wasserverbrauch pro Kopf zurückgeht, wenn die Wasserpreise steigen. Die industrielle Wassernachfrage steigt insgesamt um 46% aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung gemessen am Bruttoinlandsprodukt.
Simulation ist auch weltweit einsetzbar
Die Ermittlung des Wasserbedarfs mit dem CityGML-Modell umfasst einzelne Gebäude als Basiselement zur Berechnung. Enthalten sind Gebäudetypen (Wohnen, Hotel, Krankenhaus, Bildung, Büro, Einzelhandel, Sport und Ausstellungshalle sowie Industriegebäude), Baujahr und Gebäudegeometrie. Die Gebäudegeometrie wird zur Berechnung der Bodenfläche verwendet. In Kombination mit dem Baujahr kann die Anzahl der Bewohner in Wohngebäuden simuliert werden. Der Wasserbedarfswert pro Fläche oder pro Person wird auf der Grundlage von Gebäudetypen, Klima und sozioökonomischen Faktoren, wie zum Beispiel Einkommen ermittelt.