„Klimaänderungen, die sich in kurzen Zeiträumen ereignen, beeinflussen die Biodiversität. Für eine realistische Einschätzung dieser Folgen ist es erforderlich, auch frühere, weit in die Erdgeschichte zurückreichende Temperaturentwicklungen einzubeziehen. Dies zeigen Forscher der Universität Bayreuth und der Universität Erlangen-Nürnberg in einem Beitrag für „Nature Ecology and Evolution“. Das künftige klimabedingte Artensterben könnte demnach schwächer ausfallen, als es Prognosen befürchten lassen, die sich nur auf den aktuellen Trend der Erderwärmung stützen. Entwarnung geben die Forscher nicht: Derzeit werden die Auswirkungen des Klimawandels durch Eingriffe des Menschen noch verstärkt.
Das Forscherteam unter der Leitung des Bayreuther Ökologen Prof. Dr. Manuel Steinbauer hat anhand von paläobiologischen und klimawissenschaftlichen Modellen untersucht, wie sich eine über lange Zeiträume erstreckende Temperaturentwicklung und eine daran anschließende kurzzeitige Temperaturänderung zusammen auf das Artensterben auswirken. Hierfür wurden Forschungsdaten zu acht verschiedenen Gruppen von Meeres- und Landtieren zusammengeführt und analysiert. Insgesamt gehören diesen Gruppen rund 3.200 Gattungen und mehr als 46.000 Arten an. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie lautet: Wie sich kurzzeitige Temperaturänderungen auf die Artenvielfalt auswirken, hängt wesentlich vom erd- und klimageschichtlichen Kontext ab. Wird eine langanhaltende Abkühlung durch eine anschließende kurzzeitige Abkühlung verstärkt, erhöht sich das klimabedingte Aussterberisiko der untersuchten Gattungen um bis zu 40 Prozent.
Dieses Risiko sinkt jedoch, falls auf eine Langzeitabkühlung der Erde, wie sie vor 40 Millionen Jahren bis hin zum Industriezeitalter stattgefunden hat, eine kurzzeitige Erwärmung folgt.
Die Forscher erklären diesen von ihnen entdeckten Effekt damit, dass jede Gattung im Verlauf ihrer Evolution Anpassungen an bestimmte klimatische Gegebenheiten entwickelt. Diese Anpassungen behält sie über einen Zeitraum von Hunderttausenden oder Millionen von Jahren bei. Eine langzeitliche Abkühlung entfernt die Gattung daher immer weiter von den für sie günstigen Lebensbedingungen und lässt das Aussterberisiko steigen. Folgt jetzt eine kurzzeitige Erwärmung, nähert sich der Lebensraum der Gattung wieder dem bevorzugten Klima an.
„Noch bedarf es weiterer Studien, um die Ergebnisse unserer jetzt veröffentlichten Arbeiten auf den aktuellen Klimawandel zu übertragen. Es erscheint aber sehr gut möglich, dass der mit dem Industriezeitalter beginnende, vom Menschen verursachte Trend der Erderwärmung die globale Biodiversität nicht so stark gefährdet, wie dies in einigen Prognosen angenommen wird“, erklärt Gregor Mathes M.Sc., Erstautor der Studie, der zurzeit an den Universitäten Bayreuth und Erlangen-Nürnberg eine paläobiologische Doktorarbeit verfasst.
„In den kommenden zwei Jahren wollen wir noch genauer untersuchen, inwiefern derzeitige Prognosen zum klimabedingten Artenverlust angepasst werden sollten, weil sie den erd- und klimageschichtlichen Kontext ausblenden. In der aktuellen Biodiversitätskrise kommt hinzu, dass der Klimawandel nur eine von vielen Ursachen des Artensterbens ist. Wir Menschen greifen so umfassend in die Natur ein, dass dadurch eine Vielzahl von Arten gefährdet oder bereits für immer von unserem Planeten verschwunden ist“, fügt Prof. Dr. Manuel Steinbauer vom Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung (BayCEER) hinzu.