Der Tourismussektor befindet sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Umbruch und in einer fundamentalen Krise. Der größte Touristikkonzern der Welt, die deutsche TUI etwa, hat Staatshilfen von bis zu 1,25 Milliarden Euro zum „Überleben“ bekommen. Der Grund dafür ist, dass die Touristik ein wirtschaftliches Schwergewicht ist. Die Branche repräsentiert insgesamt zehn Prozent des globalen Arbeitsmarktes und Einkommens. Wie anfällig diese Branche aber sei, machte Rene van der Duim, emeritierter Professor für Kulturgeographie und Tourismus von der niederländischen Universität Wageningen unlängst deutlich: Die Menschen seien sich der gesundheitlichen Risiken des Reisens mehr denn je bewusst. Dies sei vor ein paar Jahren noch anders gewesen, denn großflächige Ausbrüche von Zoonosen wie SARS in Asien im Jahr 2003 und Ebola in Afrika waren von Europa weit entfernt.
Durch Corona, so Rene van der Duim weiter, werde das Verhältnis zwischen Gesundheit und Reisen immer wichtiger und dies werde wahrscheinlich auch so bleiben. Darüber hinaus liege ein wachsender Fokus auf der Beziehung zwischen Tourismus, Wohlbefinden und Natur. Nachdem viele Möglichkeiten, Urlaub und Freizeit zu verbringen, aufgrund der Corona-Maßnahmen wegfallen seien, verbrächten die Menschen ihre Freizeit in den Naturschutzgebieten und Parks ihres jeweiligen Heimatlandes. Aber damit nicht genug: Auch schon vor der Corona-Krise hätten sich für den Tourismus existenzielle Fragen gestellt.
Übertourismus in städtischen Gebieten
Beschwerden und Proteste der Einwohner beliebter städtischer Touristenziele wie Barcelona, Venedig und Amsterdam hätten darüber hinaus das Thema „Über-Tourismus“ in den Fokus gerückt. Die Einwohner beschwerten sich über Menschenmassen, schlechte Lebensbedingungen, befristete Mietverträge und explodierende Immobilienpreise. Diese Städte müssten sich, so van der Duim, mit der Frage befassen: Welche Art von neuem Tourismus wollen wir? Wie wollen wir, dass sich die Städte sozial, wirtschaftlich und räumlich entwickeln? Wie passt der Tourismus zu diesen Entwicklungen?
Tourismus und Klimaziele
Es gibt auch andere Probleme im Zusammenhang mit dem Tourismus. Beispielsweise hängen der Verlust der biologischen Vielfalt und der Mangel an Süßwasser in tropischen Küstengebieten sowie die von Hotels und Kreuzfahrtschiffen verursachten Abfälle in diesen Regionen mit dem Tourismus zusammen. Eine Studie aus dem Jahr 2019 habe ergeben, so Rene van der Duim weiter, dass die Pariser Klimaziele nicht erreichen würden, wenn der Tourismus weiter wachse. Es wird geschätzt, dass der Beitrag des Tourismus zum Klimawandel bereits fünf Prozent und in den Niederlanden sogar zehn Prozent betrage, stellt der Tourismusforscher weiter fest.
Mögliche Szenarien
Sobald die Welt die Corona-Pandemie hinter sich gelassen habe, gäbe es verschiedene mögliche Szenarien. Es sei möglich, dass alles wieder so wird, wie es war, also „Business as usual“, so der Forscher. Die tiefe Wirtschaftskrise, die sich aus dieser Pandemie ergäbe, könne jedoch dazu führen, dass sich Regierungen, Politiker und Unternehmen lediglich auf die wirtschaftliche Erholung konzentrieren. Was, so van der Duim, eine verlorene Chance sei, denn die Pandemie böte auch die einmalige Gelegenheit, die Rolle des Tourismus in der Gesellschaft gänzlich neu zu überdenken. Regierungen in den Niederlanden und anderswo sollten Klima, biologische Vielfalt, Entwicklung und die Bekämpfung der Armut in ihre internationale, nationale und lokale Politik einbeziehen. Van der Duim geht davon aus, dass wir sind derzeit in der Lage sein, das Gleichgewicht zwischen sozioökonomischer Entwicklung, Klima und biologischer Vielfalt wiederherzustellen. Um diese Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, fordert er auf eine grundlegende Neubewertung des Tourismus durch Regierungen, Unternehmen und die Bürger.