„Wir bewegen uns nicht mehr selbstverständlich in der Natur.“

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Dr. Kathleen Schwerdtner Máñez ist Diplom-Landschaftsökologin und promovierte Agrarökonomin. Nach ihrem Studium an der Universität Greifswald promovierte sie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig zur Umsetzung von Artenschutz. Danach arbeitete sie am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen zur Analyse sozial-ökologischer Systeme. Im Zentrum ihrer Forschung stand die Fischerei an Küsten und auf kleinen Inseln in Indonesien. Umweltwahrnehmung, Umweltveränderungen, und Umweltgeschichte waren die wichtigsten Themen ihrer Arbeit. Heute arbeitet sie am Internationalen Hochschulinstitut Zittau sowie an der Universität Greifswald.


Es gibt einen nur schwer zu begreifenden Unterschied zwischen dem natürlichem Gefühl, eigentlich jedes Menschen, der von innen empfundenen Freude, beim Anblick einer farbenreichen und lebendigen Bergwiese und dem tieferen Verständnis von Biodiversität, von Natur als Gesamtheit. Sie sind in Wissenschaft und Politik zu hause, forschen und arbeiten ganz praktisch an Projekten. Wissen Sie, was ist es, was Menschen den Zugang zum Fundamentalsten was besteht so erschwert?

Schwerdtner Máñez: Ich glaube, es hat etwas mit der Entfremdung von Mensch und Natur zu tun. Die meisten von uns verbringen einen Großteil ihrer Zeit in geschlossenen Räumen, und Naturerleben reduziert sich auf wenige, isolierte Ereignisse, etwa einem Spaziergang. Wir bewegen uns nicht mehr selbstverständlich in der Natur als ein Teil davon, sondern in der Regel als Betrachter*in von außen. Was uns dabei offensichtlich verloren gegangen ist, ist das Verständnis von natürlichen Zusammenhängen, Prozessen und Dynamiken. Wie sehr uns das fehlt, wird etwa daran deutlich, welcher Aufmerksamkeit und wachsender Popularität sich Ansätze wie das „Waldbaden“ erfreuen.

Einerseits nachvollziehbar, andererseits aber nicht. In den romantischen Stunden lesen unsere Mitbürger in Magazinen über die Schönheiten des Landlebens, erfreuen sich an den Regional- und Bioangeboten auf den Wochenmärkten und den dazu passenden Supermärkten. Auf der Spiegel- Bestsellerliste finden sich Bücher wie: „Der Gesang der Flusskrebse“, „Der Wal und das Ende der Welt“, das Apfelepos „Alte Sorten“ und das Umweltbundesamt lässt uns wissen, dass laut jüngster Umfragen für zwei Drittel der Bevölkerung der Umwelt- und Klimaschutz eine grundlegende Bedingung darstelle, um Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Es gäbe große Zustimmung für mehr Umwelt- und Klimaschutz in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Verkehr. Um es auf den Punkt zu bringen: Gibt es in Sachen Umweltschutz eine Spaltung der Gesellschaft? Hat dieser für die „lesenden“ Ober- und Mittelschichten eine andere Bedeutung als für die Menschen in einem schwierigen sozialen Umfeld?

Ich kann darin keinen Widerspruch zu dem zuvor gesagten erkennen. Eben genau weil uns etwas fehlt, nämlich die tiefe Verbundenheit mit der Natur als Ganzes, sprechen uns die von Ihnen genannten Dinge so stark an. Sicherlich betrifft das manche Teile der Bevölkerung mehr als andere, und ohne einen gewissen Bildungshintergund werden Sie nicht „Der Gesang der Flusskrebse“ lesen. Trotzdem wäre es zu einfach, zu sagen das Umweltschutz für Ober- und Mittelschichten eine andere Bedeutung hat. So lässt sich aus der Tatsache, dass zwei Drittel der Bevölkerung für mehr Umwelt- und Klimaschutz sind zunächst einmal wenig ableiten, außer eben dass diese Themen offensichtlich für diese Menschen einen hohen Wert haben. Daraus folgen aber nicht zwangsläufig entsprechende Handlungen – in der Psychologie ist das als „Value-Action-Gap“ bekannt.

Was meinen Sie damit genau?

Man findet es wichtig, aber die Umsetzung erscheint schwierig. Jemand, der die von Ihnen genannten Bücher liest, weil sie bzw. er sich für Natur interessiert, dann aber in ein Eco-Resort in Thailand in den Urlaub fliegt (mit ayurvedischem Essen und Achtsamkeitstraining), hat eine deutlich schlechtere Umweltbilanz als jemand, dem diese Dinge nichts sagen, der aber zu Hause bleibt. Aus meiner Sicht geht es um zweierlei: das Bewusstsein für die Klima- und Biodiversitätskrise in der gesamten Gesellschaft zu schaffen und zu schärfen, aber vor allem: aus diesem Bewusstsein Handlungen abzuleiten, in dem man Menschen dabei unterstützt, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen.

Was sich hier feststellen lässt, ist das in der Tat einiges in Bewegung gekommen ist. Eine Jugend, die sich mit Recht um ihre Zukunft sorgt und sich nicht nur bei Fridays for Future engagiert. Unternehmen, die ganz bewusst ihre Prozesse und Produkte nachhaltiger gestalten. Nur in der Politik scheinen im Alltaggeschäft die Kompromisslinien noch immer wichtiger als die Klimaziele zu sein. Sie sind selbst politisch aktiv und beraten politische Entscheidungsträger bei ihrer Arbeit (wenn ich das falsch verstanden habe-einfach ignorieren). Wie können Sie  Klima- und Biodiversitätskriterien in die politische Welt des Machbaren wirklich nachhaltig implementieren? 

Ganz soweit bin ich in meiner politischen Karriere noch nicht gekommen. Ich versuche aber, in meiner Arbeit im Orts- und Kreisvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen etwa durch Pressemitteilungen und Zeitungsartikel ganz gezielt den von Ihnen angesprochenen Aspekt deutlich zu machen: in vielen politischen Entscheidungen (gerade auch auf kommunalpolitischer Ebene) spielen Klima- und Naturschutz nach wie vor eine geringe Rolle. Mit dem ewigen Argument von Steuereinnahmen und zu schaffenden Arbeitsplätzen wird ein Bauprojekt nach dem anderen durchgedrückt. Ein typisches Beispiel ist der Bau eines Aldi-Logistikzentrums in meiner Heimatgemeinde Stelle. Weder die Tatsache, dass dabei 14 Fußballfelder Fläche komplett versiegelt werden, diverse Rote-Liste-Arten Lebensraum verlieren noch die Beeinträchtigung eines Quellwaldes – nach dem Bundesnaturschutzgesetz ein geschütztes Biotop – konnten die Mehrheit unserer Ratsmitglieder davon überzeugen, den Bau abzulehnen.

Was glauben Sie ist notwendig, um mehr nachhaltiges Denken und Entscheiden in die unterschiedlichsten Ebenen der Politik zu bekommen?

Ich glaube, hier hilft nur ein Machtwechsel. Wir brauchen Politiker*innen, die den Schutz von Klima und Biodiversität als Grundvoraussetzung für ein gutes Leben verstehen. Dazu gehört auch, manchmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen und sich nicht für eine kurzfristige Erhöhung der Gewerbesteuereinnahmen zu entscheiden, sondern für den Erhalt von Flächen, die uns dabei helfen werden, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. So sehe ich auch die vielgelobte Innenverdichtung sehr kritisch – wo werden die zunehmenden Starkregen versickern, welche Flächen stabilisieren das Lokalklima in Städten und Gemeinden, und wo bleiben Inseln für Tiere und Pflanzen, wenn wir jede Lücke durch Bebauung schließen? Es ist an der Zeit, dass wir uns von der Idee des ewigen Wachstums verabschieden und neue Kriterien für Fortschritt und Entwicklung nutzen.

Aus Ihren Worten spricht ja nicht nur eine politische Überzeugung sondern auch das Engagement einer Naturwissenschaftlerin. Mit welchen Projekt waren Sie bisher betraut?

Ich habe bereits in verschiedenen Projekten gearbeitet, mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten: zum Umgang mit geschützten Tierarten, die mit dem Menschen in Konkurrenz stehen (Fischotter, Wolf), über die Anpassungsstrategien indonesischer Fischer an veränderte Umweltbedingungen, bis hin zu Verhaltensänderungen für besseren Naturschutz. Mich interessieren dabei eigentlich immer die gleichen Fragen: wie nehmen Menschen ihre Umwelt war? Wie haben sie diese über die Zeit verändert, und wie gehen sie mit den Veränderungen um? Und wie kann die Nutzung natürlicher Ressourcen gemeinsam mit den Nutzer*innen so ausgestaltet werde, dass sie nachhaltig ist?

Woran arbeiten Sie aktuell?

Aktuell forsche ich in der Lausitz dazu, wie man Artenvielfalt und Biodiversität in Teichlandschaften besser in Wert setzen und so in private und gesellschaftliche Entscheidungen einbeziehen kann. Im Projekt „Vernetzte Vielfalt“ an der Ostseeküste beschäftige ich mich mit der Frage, was Landwirt*innen daran hindert, nachhaltige Landwirtschaftsformen zu praktizieren, die auch Biodiversitätsschutz berücksichtigen.

Dr. Schwerdtner Máñez, vielen Dank für das Gespräch!