Über die Fischerei werden vor allem größere und aktivere Fische aus Populationen herausgefangen. Damit wirkt das Fischen als Selektionsfaktor, der scheue Fische bevorteilt, wie eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigt. Die Förderung eher kleiner, scheuer und insgesamt weniger fängiger Fische hat Konsequenzen für die Qualität der Fischerei und erschwert es, die Entwicklung der Fischbestände genau zu erheben. Die Populationen wildlebender Speisefische sind unter Druck. Die Gründe hierfür sind vielfältig und umfassen natürliche und menschengemachte Faktoren.
Einen bisher übersehenen Aspekt hat ein Team um die Fischereiforscher Professor Robert Arlinghaus und Dr. Christopher Monk erforscht: Sie untersuchten am Hecht, wie sich intensive Fischerei auf Verhalten und Fangbarkeit auswirkt. Der Raubfisch Hecht ist in Süß- und Brackgewässern der nördlichen Hemisphäre weit verbreitet und ein wichtiger Speisefisch. Er wird außerdem intensiv beangelt. „Um Fischpopulationen nachhaltig zu nutzen, ist es wichtig, auch mögliche evolutionäre Veränderungen innerhalb der befischten Populationen zu kennen und mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln“, sagt Christopher Monk, Hauptautor der Studie.
Schneller geschlechtsreif, kleiner und weniger aktiv:
Fischfang kann als Selektionsfaktor im Sinne Charles Darwins wirken, denn durch die Fischerei steigt die Sterbewahrscheinlichkeit. Dies fördert eine frühere Geschlechtsreife, da frühes Laichen unter befischten Bedingungen ein Überlebensvorteil ist. Ein früherer Eintritt in die Reifung bedeutet aber auch, dass die Fische weniger Energie in das Wachstum investieren und als Folge nicht mehr so lang werden. Hinzu kommt, dass bei den meisten Fangmethoden, auch beim Angeln, überwiegend größere Tiere im Kescher landen. Dies kann zu einer weiteren Verminderung der Körperlänge beitragen, weil es ein Überlebensvorteil ist, langsamer zu wachsen. Das reduziert die Produktivität von Fischbeständen.
Die Fischerei kann auch selektiv auf bestimmte Verhaltenstypen wirken
Damit sind Unterschiede in Verhaltensmerkmalen wie Aggression, Exploration oder auch Schwimmaktivität gemeint. Der erfolgreiche Fang mit Fanggeräten wie der Angel ist stark vom Verhalten des einzelnen Fisches abhängig. Beispielsweise attackieren aggressivere Tiere eher einen Köder als weniger aggressive Individuen. Auch kann ein Vielschwimmer eher mit der Angel oder einem Fischernetz in Kontakt kommen als ein standorttreuer Fisch. Da Verhaltensmerkmale eine vererbbare Komponente haben, kann der verhaltenselektive Fischfang dazu führen, dass Fischpopulationen scheuer und weniger schwimmaktiv werden – und dann künftig schlechter zu fangen sind.
Wettkampf zwischen Natur und Fischerei entscheidet beim Verhalten die Fischerei für sich:
Die Natur wirkt häufig in die andere Richtung: Größere, mutigere Tiere pflanzen sich unter bestimmten Bedingungen besser fort. Es kommt zum Wettbewerb zwischen natürlicher und fischereilicher Selektion. Den Ausgang des Selektionswettkampfs haben die Forschenden nun an Hechtbeständen in einem Forschungsgewässer in Brandenburg über einen Zeitraum von vier Jahren untersucht. Um die natürliche Selektion zu bestimmen, erfasste das Team den individuellen Reproduktionserfolg über genetische Zuordnungen zwischen Eltern und Nachkommen: Wie viele Nachkommen produzierten die einzelnen Hechte über die vier Jahre; und waren ältere und größere Hechte sowie die Fische, die stärker umherschwammen, auch erfolgreicher in der Nachkommensproduktion? Selektion durch Fang ermittelten die Forschenden, indem sie Individuen, die sich angeln ließen, mit Individuen verglichen, die nicht mit der Angel gefangen wurden. Bei einer Teilpopulation der Hechte analysierte das Team über ein Jahr die Aktivität der Fische mittels präziser akustischer Telemetrie. So konnten sie genau ermitteln, wie einzelne Fische umherschwimmen, sich fangen lassen und wer wie viele Nachkommen hervorbringt.
„Größere Hechte haben mehr Nachkommen. Die natürliche Selektion fördert daher große Hechte. Die Fischereiselektion wirkt genau in die andere Richtung und bevorteilt eher die Tiere, die kleiner bleiben“, berichtet Christopher Monk zu den Ergebnissen. Dabei wies die Selektion durch den Angelfang auch eine Verhaltenskomponente auf: Bei gleicher Größe wurde ein aktiverer Hecht mit größerer Wahrscheinlichkeit gefangen als ein weniger aktiver. Eine entgegengesetzte natürliche Verhaltensselektion ließ sich nicht nachweisen. Der Fischereidruck wirkte also alleine in eine Richtung – zu eher scheuen, weniger aktiven Hechten.
„Unsere Arbeit legt nahe, dass der Wettkampf zwischen Natur und Angler dazu führt, dass eher die kleinen, inaktiven und schwerer zu fangenden Hechte überleben. Das kann sich langfristig in reduzierten Fangraten manifestieren und auch ökologische Wirkungen haben, die wir allerdings noch nicht verstehen“, fasst Projektleiter Robert Arlinghaus vom IGB und der Humboldt-Universität zu Berlin zusammen.
Längenbegrenzung – nicht nur ein Mindestmaß, sondern auch eine Obergrenze wäre gut:
Mathematische Modelle zeigten, dass herkömmliche Fangbeschränkungen wie Mindestmaße die Fischereiselektion nicht aufhalten, höchstens abmildern konnten. „Mindestlängenbegrenzungen sind nur bei sehr restriktiven Auslegungen in der Lage, die fischereiliche Selektion auf das Merkmal Körpergröße wirksam abzuschwächen“, sagt Robert Arlinghaus. Um Bestände besser zu schützen, könnten die Auslesewirkungen des Fischfangs aber verlangsamt werden, indem die bestehende Untergrenze durch eine Obergrenze zu einem „Fangfenster“ ergänzt wird. Drastischere Regelungen wie Begrenzung des Fangdrucks, Rotationen der für die Fischerei geöffneten Gebiete und effektiv gestaltete Schutzgebiete, in denen sich die gefährdeten Verhaltenstypen zurückziehen können, könnten die Auswirkungen der selektiven Befischung am wirksamsten abmildern. Allerdings ist hier die Forschung noch am Anfang, und die sozioökonomischen Konsequenzen für Fischer und Angler wären gravierend.
Die gute Nachricht ist: Mit jedem Hecht, der den Anglern oder Fischern künftig ein Schnippchen schlägt, verringert sich auch das Überfischungsrisiko der Population als Ganzes.