Bewertungen von Ökosystemen hinsichtlich ihrer Leistungen für den Menschen sollten stärker die Artenvielfalt berücksichtigen. Das fordern Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in der Fachzeitschrift Ecosystem Services. Tier- und Pflanzenarten liefern viele Leistungen für das menschliche Wohlergehen, gehen jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Großräumige Bewertungen erfassen nur einen Teil dieser Leistungen wie Wasserreinigung, Kohlenstoffspeicherung oder Erosionsschutz. Ökosystemleistungen, die direkt an Arten gekoppelt sind, spielen hingegen kaum einen Rolle. So würden Chancen eines effektiven Natur- und Artenschutzes verspielt, kritisieren die Forscher.
Funktionierende Ökosysteme liefern die Grundlagen für Sicherheit, materielle Grundversorgung, Gesundheit, sozialen Austausch und Handlungsfreiheit. So beschrieb es das Millennium Ecosystem Assessment 2005 und unterteilte die sogenannten Ökosystemleistungen in Versorgungsleistungen (Güter wie Nahrung, Wasser, Feuer- und Bauholz), Regulierungsleistungen (Bestäubung, Wasserfilterungfunktion des Bodens, Hochwasser- und Erosionsschutz) und kulturelle Leistungen (Erholung, Inspirationsort, Bildung). Viele dieser Leistungen sind mittel- und unmittelbar an das Vorhandensein von bestimmten Tier- und Pflanzenarten gebunden, weshalb der Artenschutz oft auch als Maßnahme zur Erhaltung wichtiger Naturleistungen ins Spiel gebracht wird.
„Die meisten bisherigen Studien vertreten allerdings die Ansicht, dass Gebiete, die für Ökosystemleistungen wichtig sind, nicht unbedingt jenen entsprechen, die für die Erhaltung der biologischen Vielfalt wichtig sind”, sagt Letztautor Prof. Henrique Pereira von iDiv und MLU. “Dies liegt vermutlich daran, dass diese Studien nur einige wenige Ökosystemleistungen betrachten und artengebundene Leistungen kaum darunter sind.” In ihrer neuen Studie wählten die Forscher exemplarisch neun verschiedene artengebundene Ökosystemleistungen aus, zu deren Arten es Daten zu Vorkommen und Verteilung in Europa gab: Wildnahrung, Heilpflanzen, Futtermittel, Schädlingsbekämpfung, Zersetzung von Totmaterial, Samenverbreitung, Existenzwert, Wildtierbeobachtung und Jagd.
Datenbanken durchforstet
Um herauszufinden, welche Arten diese Leistungen erbringen, durchsuchten sie Datenbanken nach funktionalen Merkmalen, etwa medizinischer Wert, Essbarkeit, aber auch deren Bedeutung für die Jagd oder Naturbeobachtung. Anschließend erstellten die Forscher individuelle Karten, wie diese Arten in Europa verteilt sind. Dasselbe taten sie dann für neun typische biophysikalische Ökosystemleistungen, die nicht an Arten gebunden sind, etwa landwirtschaftliche Produktion, Weidetierhaltung oder Kohlenstoffspeicherung. Diese Karten verglichen sie in Computermodellen und errechneten, wo es räumliche Überschneidungen gibt und wie sich die Ökosystemleistungen gegenseitig beeinflussen.
Ökosystemleistungen hängen stärker von Artenreichtum und -abundanz ab als bisher angenommen
Die Ergebnisse zeigen, dass – besonders im größeren räumlichen Maßstab – biophysikalische und artengebundene Ökosystemleistungen durchaus oft gleichzeitig vorkommen. Dies wurde deutlicher, je mehr Ökosystemleistungen gleichzeitig betrachtet wurden. Die Regionen, in denen die Erhaltung von Arten und Ökosystemleistungen eine Rolle spielen, fielen also öfter zusammen als bisher angenommen. Negative Korrelationen fanden sich vorwiegend bei landwirtschaftlicher Produktion, die u. a. regulierende Ökosystemleistungen wie Wasserreinigung oder kulturelle Leistungen wie Naturästhetik einschränken.
„Mit unserer Studie können wir zeigen, dass starke Abhängigkeiten zwischen Artenvielt und Ökosystemleistungen bestehen. sagt Erstautorin Dr. Silvia Ceaușu, die die Studie bei iDiv und an der MLU durchgeführt hat. Seit kurzem arbeitet sie am Zentrum für Biodiversitäts- und Umweltforschung des University College London. Damit die richtigen politischen Entscheidungen zur Erhaltung unserer Lebensgrundlage getroffen werden können, müssen diese Zusammenhänge in Bewertungen, die sich mit dem Beitrag der Natur zum menschlichen Wohlergehen beschäftigen, deutlicher gemacht werden“.
„Allerdings fehlen immer noch Biodiversitätsdaten, um artengebundene Ökosystemleistungen auf großen Skalen wirklich zu kartieren“, sagt Henrique Pereira. „Wir brauchen also mehr Forschung auf der Landschafts- und regionalen Ebene, wie Ökosystemleistungen von der Häufigkeit und den Merkmalen örtlich vorhandener Arten abhängen.” Für Europa etablieren die Forscher deshalb derzeit das Vorhaben EuropaBON, das künftig unter anderem solche Daten zur Verfügung stellen soll.