Trotz Corona-Pandemie und Kontaktbeschränkungen zeigen die Menschen in Deutschland nach einer Umfrage des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster weiter Bereitschaft zu Solidarität und Zusammenhalt. In der nicht-repräsentativen Online-Befragung geben 63 Prozent der von Juli 2020 bis Januar 2021 gut 2.300 Befragten an, mehr Solidarität und Hilfsbereitschaft in ihrem Pandemiealltag zu zeigen. Auch fühlen sich 45 Prozent trotz der physischen Kontaktbeschränkungen stärker mit ihren Mitmenschen verbunden und nur 17 Prozent schwächer, wie die Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand vom Exzellenzcluster im neuen Forschungspodcast „Religion und Politik“ (http://go.wwu.de/-93ng) erläutert. Die Umfrage ergab weiter, dass das soziale Vertrauen in die Mitmenschen während der Coronazeit bei den meisten Befragten nicht gesunken ist, sondern gleichblieb. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen stieg zugleich bei 42 Prozent der Befragten an. Hillenbrand: „Trotz Corona-Pandemie und Kontaktbeschränkungen halten die Menschen stärker zusammen.“
Dabei spielt die Religiosität eine wichtige Rolle, wie Hillenbrand im Podcast zum Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“ des Exzellenzclusters darlegt. „Wir sehen signifikante Zusammenhänge zwischen Religion und den Dimensionen des gesellschaftlichen Zusammenhalts wie Vertrauen, Zugehörigkeitsgefühl und Verantwortungsbereitschaft“, so die Forscherin. Die Rolle der Religion sei ambivalent. Menschen, die häufiger an Gottesdiensten teilnehmen, vertrauen der Umfrage zufolge ihren Mitmenschen stärker als andere, verhalten sich im Alltag solidarischer und engagieren sich stärker sozial. Anders sehe es für Menschen mit exklusivistisch-abgrenzendem Glaubensverständnis aus. „Wer seine eigene Religion als einzig akzeptable erachtet, vertraut Mitmenschen und öffentlichen Institutionen in der Corona-Zeit weniger als andere. Außerdem zeigt diese Gruppe weniger Solidarität, sie hält sich weniger an Gesetze und engagiert sich weniger politisch.“ Hinderlich für den Zusammenhalt sei auch die Überzeugung, die eigene Religion sei dann noch im Recht, wenn sie im Widerspruch zur Wissenschaft stehe. „Das geht mit geringerem Institutionenvertrauen, schwächerem sozialen und nationalstaatlichen Zugehörigkeitsgefühl sowie geringerer Regelbeachtung einher.“
Corona und Verschwörungstheorien
Auch der Zusammenhang von Religiosität und Verschwörungstheorien wurde in der Umfrage abgefragt. Die Teilnehmenden konnten Stellung beziehen zu unterschiedlichen Deutungen der Pandemie wie zu der Aussage „Hinter der Corona-Pandemie stecken böse, verborgene Mächte“. Diesem Satz stimmen knapp zehn Prozent der Befragten zu. „Unter ihnen sind vor allem Menschen mit formal niedrigerem Bildungsniveau. Alter und Geschlecht spielen keine Rolle, wohl aber die Einordnung in das politische Parteienspektrum“, sagt die Politikwissenschaftlerin. „Menschen, die sich weiter rechts einordneten, vermuten stärker, dass hinter der Corona-Pandemie böse, verborgene Mächte stecken.“ Auch befänden sich unter ihnen vermehrt Gläubige, deren Gottesbild von Strafe, Schuld und Angst geprägt sei und die die Coronapandemie als Strafe Gottes deuteten. „Auf der anderen Seite gehen die religiöse Praxis wie der Gottesdienstbesuch oder das Engagement in einer Religionsgemeinschaft mit einer geringeren Verschwörungsmentalität einher.“
Corona und Religion
Die Online-Befragung, deren Ergebnisse unter http://go.wwu.de/bwtzn einsehbar sind, zeigt auch, wie sich die Pandemie auf den Glauben der Menschen auswirkt. 57 Prozent der Befragten geben an, ihr Glaube sei in der Coronazeit unverändert geblieben. Ein Drittel gibt an, er habe sich verstärkt, bei knapp 11 Prozent wurde der Glaube schwächer. Mehr als die Hälfte der Befragten sagt, der Glaube gebe in der Corona-Zeit Trost, Hoffnung und Kraft. Darunter sind vor allem diejenigen, die sich als religiös bezeichnen, mehr beten und an Gottesdiensten teilnehmen. Die Coronapandemie verstärkt also insbesondere die Religiosität von Gläubigen. Der Glaube von Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, schwächt sich hingegen eher ab. „Eine tiefe, persönliche Gottesbeziehung scheint also auch in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie zu tragen und Halt zu geben“, sagt die Forscherin. „Das betrifft ein zentrales religiöses Bezugsproblem, nämlich die Frage, wie Menschen mit Kontingenz, Unsicherheit und ungewissen Situationen umgehen. Religion erfüllt in der Coronazeit ihre – mit der Religionssoziologie gesprochen – genuine Aufgabe der Kontingenzbewältigung.“
Die Politikwissenschaftlerin erhebt die Daten im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten an der Graduiertenschule des Exzellenzclusters. Die Untersuchung ist in Kooperation mit einer internationalen Forschungsgruppe unter Federführung der Antonianum-Universität in Rom entstanden. Aus Deutschland beteiligt ist auch das „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ) an der Uni Leipzig. Die Forschergruppe untersucht den Einfluss der Coronapandemie auf soziale, politische und religiöse Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen in mehreren Ländern. Die Wissenschaftlerin erläutert die Ergebnisse und ihr Vorgehen bei der Auswertung in der ersten Folge des Forschungspodcasts „Religion und Politik“ des Exzellenzclusters.
Der Forschungspodcast „Religion und Politik“ aus dem gleichnamigen Exzellenzcluster der Uni Münster ist abrufbar unter Spotify, Deezer und Apple Podcasts sowie auf der Website www.religion-und-politik.de. Wissenschaftler berichten in ihren Podcastfolgen persönlich, aktuell und anschaulich aus ihrer Arbeit in der interdisziplinären Religionsforschung. Der Podcast begleitet auch das laufende Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“ des Exzellenzclusters. Die Forschenden aus gut 20 Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften decken mit ihren Folgen eine große Bandbreite an Themen, Fächern und Epochen ab. An Fallbeispielen von der Antike bis heute erörtern sie, wie Zugehörigkeiten zu politischen, kulturellen und religiösen Gruppen und Identitäten entstehen, wie sie Konflikte provozieren und Ausgleich zustande kommen kann.