#Umweltfreundlicher Chemie / Aufruhr um die nachhaltige Chemie
#Von der Natur lernen
#Bei der künstlichen Herstellung von Beta-Carotin fallen sie an, bei anderen Stoffen auch: tonnenweise Abfallprodukte.
#Die Forschungsergebnisse von Maulide und seiner Arbeitsgruppe sorgten für Furore
Wenn es nach Nuno Maulide von der Fakultät für Chemie der Uni Wien geht, ist damit bald Schluss. Er sucht nach nachhaltigen Reaktionen inspiriert von der Natur, der „besten Chemikerin der Welt“. In einer Reaktion werden Moleküle umgewandelt, sie setzen Energie frei oder nehmen Energie auf. So die Theorie. Doch Moleküle verhalten sich nicht immer so, wie Chemikern es gerne hätten, erklärt Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien. In der Wissenschaftspraxis wird daher kurzerhand auf Triebkräfte zurückgegriffen – Stoffe, die hinzugefügt werden, um Reaktionen auch unter schlechten Bedingungen zu ermöglichen. Dabei problematisch: Einerseits ist die Trennung der Stoffe nach der Beisetzung von Triebkräften eine Herausforderung, andererseits bleiben die Triebkräfte am Ende als nutzloses Nebenprodukt zurück.
Die Gruppe um Nuno Maulide bekam im April 2018 einen Proof of Concept Grantdes Europäischen Forschungsrates ERC zugesprochen. Der mit 150.000 Euro dotierte Förderpreis wurde ins Leben gerufen, um die Kluft zwischen Grundlagenforschung und den frühen Phasen einer marktfähigen Innovation zu überbrücken.
Die Wittig-Reaktion, ein Beispiel, das Nuno Maulide in jeder Einführungsvorlesung an der Fakultät für Chemie vorstellt, soll das Nebenprodukt-Problem veranschaulichen: Der deutsche Wissenschafter Georg Wittig vollbrachte 1947 einen Geniestreich, indem er eine breit anwendbare Methode zur Synthese von Olefinen entwickelte. Als einer von vielen nutzte der Chemiekonzern BASF die „Wittig-Reaktion“, um Beta-Carotin im großen Stil herzustellen. Doch mit jeder Tonne Beta-Carotin entstanden drei Tonnen Triphenylphosphinoxid – ein überflüssiges Abfallprodukt.
Nuno Maulide kam 1979 in Portugal zur Welt – im gleichen Jahr bekam Georg Wittig den Nobelpreis für seine Olefin-Reaktion. Ursprünglich wollte Nuno Maulide Pianist werden, hat sich dann aber doch für die Chemie entschieden. Sein Ziel: etwas noch Besseres als die „Wittig-Reaktion“ finden. Er war an der Stanford University und am Max-Planck Institut für Kohleforschung, bevor er im Alter von 33 Jahren an die Fakultät für Chemie der Universität Wien berufen wurde. (© Universität Wien/derknopfdruecker.com)
Dass Reaktionen, welche neue Kohlenstoffbindungen knüpfen, auch ohne Abfallprodukte funktionieren, konnte der Chemiker nun in seinem Projekt VINCAT beweisen, für das er den prestigeträchtigen Consolidator Grant des European Research Councils (ERC) erhielt. Gelernt hat er von „der wohl besten Chemikerin der Welt“, der Natur: „In der Natur wäre die Wittig-Reaktion keine Erfolgsstory gewesen. Die meisten natürlichen Reaktionen funktionieren atomökonomisch, das heißt es entstehen keine Nebenprodukte. Und wenn Stoffe zurückbleiben, werden sie sofort in andere Verbindungen recycelt“, so Maulide.
Betacarotin (C40H56, Mr = 536.9 g/mol) liegt als braunrotes, kristallines Pulver vor, das in Wasser praktisch unlöslich ist. Die lipophile Substanz ist besonders in Lösung luft-, licht- und hitzeempfindlich.
Das aus Isopreneinheiten aufgebaute Carotinoidkommt in vielen Früchten und Gemüsen vor, beispielsweise in Karotten, in rohem Palmöl, in Tomaten, im Kürbis, im Spinat, in Mangos, Süsskartoffeln und Aprikosen.
Betacarotin ist ein Prodrug (Vorläufer) von Vitamin A. Ein Molekül Betacarotin kann vor allem im Dünndarm, aber auch in der Leber und anderen Organen durch eine oxidative Öffnung der Doppelbindung in zwei Moleküle Retinal gespalten werden. Diese enzymatische Bildung von Vitamin A findet aber nur statt, wenn der Organismus Vitamin A benötigt, also insbesondere bei einem Vitamin-A-Mangel. Deshalb führt die Einnahme von Betacarotin nicht zu einer Hypervitaminose A. Quelle: https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Betacarotin
In VINCAT entwickelt Maulide Reaktionen, die neue Kohlenstoffbindungen knüpfen und den nachhaltigen Reaktionen aus der Natur nahekommen. Energiereiche Vinyl-Kationen, die nur Sekundenbruchteile als Zwischenprodukte existieren, ermöglichen die umweltfreundlichen Reaktionen. Die chemischen Zwischenstufen konnten Maulide und sein Team erst kürzlich durch Massenspektroskopie und theoretische Berechnungen nachweisen.
Die Forschungsergebnisse von Maulide und seiner Arbeitsgruppe sorgten für Furore. Es folgten zahlreiche Publikationen, Presseanfragen und Auszeichnungen für die Uni Wien-ChemikerInnen. „Wir waren die ersten, die nachweisen konnten, dass nachhaltige Chemie nicht nur auf dem Papier funktioniert“, freut sich Maulide. Das engagierte Team, in dem „die Chemie stimmt“, die Förderungen durch den Europäischen Forschungsrat, aber auch die Universität Wien als optimal vernetzten Forschungsstandort nennt Maulide als Erfolgsfaktoren, die VINCAT erst möglich gemacht haben.
VINCAT geht weiter
VINCAT kann nicht auf alle Reaktionen angewandt werden – noch nicht. „Ich bin selten zufrieden und will immer das Nächste“, schmunzelt Maulide. Er und seine Arbeitsgruppe forschen also weiter in Sachen umweltfreundlicher Chemie und sind schon auf die nächste Gruppe gestoßen, mit denen Reaktionen ohne Verschwendung möglich sind. Die zweite Auflage von VINCAT ist vielleicht bald schon Realität. (hm)
Das Projekt „VINCAT – A Unified Approach to Redox-Neutral C-C Couplings: Exploiting Vinyl Cation Rearrangements“ unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Nuno Maulide läuft von Januar 2017 bis Dezember 2021. Das an der Fakultät für Chemie angesiedelte Projekt wird mit einem Consolidator Grant des European Research Councils (ERC) gefördert.
Text: Aus unserer Kooperation mit der Universität Wien