Auch nach mehr als 20 Jahren europäischer Wasserrahmenrichtlinie: Viele Oberflächengewässer in Europa werden nach wie vor regelmäßig durch organische Schadstoffe wie Pflanzenschutzmittel oder Industriechemikalien in Konzentrationen belastet, die für die Ökosysteme in Flüssen, Bächen und Seen schädlich sind. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Umweltwissenschaften iES der Universität Koblenz-Landau, für die mehrere Millionen Datensätze ausgewertet und analysiert wurden. Verbesserte Schutzmaßnahmen für Oberflächengewässer sind dringend notwendig, wie die Landauer Umweltwissenschaftlerer in dem Fachjournal „Environmental International“ aufzeigen.
„Wir haben mehrere Millionen Messungen der vergangenen 15 Jahre zum Vorkommen von organischen Schadstoffen in europäischen Gewässern ausgewertet und die damit verbundenen Umweltrisiken für diese Süßwassersysteme beurteilt“, erklärt Jakob Wolfram, Erstautor der Studie. „In unserer Auswertung konnten wir zeigen, dass immer mehr und bessere Umweltproben genommen werden, gleichzeitig mussten wir aber feststellen, dass Oberflächengewässer häufig durch organische Schadstoffe beeinträchtigt werden und sich für manche Organismengruppen diese Zustände sogar zunehmend verschlechtern.“
Die Wasserrahmenrichtlinie trat im Jahr 2000 in Kraft mit dem Ziel aquatische Ökosysteme in Europa zu schützen oder in einen „guten ökologischen Zustand“ zurückzuführen. Im Zuge dieser groß angelegten Wasserstrategie wurden über Jahre europaweit umfangreiche Wasserproben genommen, welche das Vorkommen von organischen Schadstoffen in mehreren tausend Oberflächengewässern dokumentieren. Zum ersten Mal wurde nun dieser umfangreiche, zentral von der europäischen Umweltbehörde (EEA) verwaltete Datensatz mit mehr als 8 Millionen Messungen zu 352 organischen Schadstoffen in 31 Ländern für die vergangenen 15 Jahre umfassend ausgewertet und analysiert. Die Forscher beurteilten sowohl den Status als auch die Entwicklung der Wasserqualität in Europa.
Das Ergebnis der umfassenden Analyse: Viele Typen von organischen Schadstoffen, beispielsweise Industriechemikalien wie Löse- oder Reinigungsmittel, Pestizide und Pharmazeutika, werden vermehrt in den Oberflächengewässern gefunden. In lediglich einem Drittel der Gewässer konnten keine Schadstoffe pro Jahr gefunden werden. Weitere Analysen zeigten, dass in diesen Fällen die Qualität der Probennahme signifikant schlechter war. „Dies kann dazu führen, dass Belastungen nicht gefunden werden, daher haben wir auch die Qualität der Probennahme umfassend beurteilt“, so Wolfram. Dabei haben die Forscher einen klaren Zusammenhang zwischen der Qualität der Probennahme und dem Auffinden von Schadstoffen herausgestellt. „In vielen Ländern Europas wird das wahre Risiko in Oberflächengewässer weiterhin unterschätzt“, fasst Wolfram das Ergebnis zusammen.
Die Gewässer leiden besonders unter dem Pestizideintrag
Hauptursächlich für die Beeinträchtigung der europäischen Gewässer sind laut der Landauer Forscher Pestizide. Sie waren für rund 85 Prozent der Grenzwertüberschreitungen verantwortlich. Gewässer in landwirtschaftlich geprägten Gebieten sind daher dem höchsten Risiko ausgesetzt. Die Funktionalität und Zusammensetzung ihrer Ökosysteme sind in besonderem Maße gefährdet. An 35 Prozent der Probestellen wurde ein ökologischer Grenzwert überschritten, rund 38 Prozent der Gewässer in Europa sind beeinträchtigt. Auch Pharmazeutika treten häufig in Oberflächengewässern auf. Für diese Substanzen haben die Forscher kein akutes Risiko festgestellt, allerdings sind durch sie ausgelöste Langzeiteffekte auf aquatische Ökosysteme noch unbekannt. Der Grund: Toxizitätsdaten zu Langzeitauswirkungen von Pharmazeutika existieren nur selten.
„Pharmazeutika durchlaufen einen Zulassungsprozess mit geringeren Anforderungen an die Umweltrisikobewertung als Pestizide oder Industriechemikalien“, erklärt Wolfram.
Die Ungewissheit, wie diese Substanzen auf die Umwelt oder Organismen wirken könnten, sei daher insbesondere bei den Langzeiteffekten größer als beispielsweise bei Pflanzenschutzmitteln. Die Autoren der Studie sehen Süßwasserökosysteme in Europa weiterhin einem ernsthaften Risiko ausgesetzt, welches sich besonders für Fische, aquatische Insekten und Krebstiere zeigt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass über die Wasserrahmenrichtlinie hinaus europaweit verstärkt Bemühungen notwendig sind, um die Belastung von Gewässern durch organische Schadstoffe weiter zu reduzieren.“
Aufgrund der Vielzahl an Substanzen und der zahlreichen Eintragspfade in die Umwelt sei die Frage nach den Ursachen der Schadstoffbelastung und den notwendigen Maßnahmen nicht einfach zu beantworten, so Wolfram. Dazu müssten zunächst die noch vorherrschenden Datenlücken geschlossen werden. Ein möglicher Schritt wären sicherlich Einschränkungen in der Anwendung, strengere Umweltauflagen besonders gefährlicher Umweltschadstoffe oder deren Verbot.
„Bevor wir verlässliche und passgenaue Empfehlungen aussprechen können, muss die Datenlage verbessert werden“, unterstreicht Wolfram.
Zusätzlich müsste auch die Datenqualität zwischen den europäischen Ländern verbessert werden, um wirkungsvolle und zielführende Managementstrategien zu entwickeln.