Klimawandel: Lehren aus der Geschichte

Der Palazzo Comunale von Bologna, das heutige Rathaus, wurde im 13. Jahrhundert als städtischer Getreidespeicher errichtet und entwickelte sich im 14. Jahrhundert zum Sitz der Stadtregierung. Foto: Paco Petrus, Wikimedia Commons, CC-BY SA 3.0

Wissenschaftler aus natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen haben einen neuen Forschungsrahmen entworfen, um die historischen Wechselwirkungen zwischen Klima und Gesellschaft besser verstehen zu können. Sie zeigen fünf Wege auf, wie vormoderne Gesellschaften es schafften, sich an den Klimawandel anzupassen. Teil des internationalen Forschungsteams ist Martin Bauch, der am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig eine Freigeist-Nachwuchsforschungsgruppe leitet. Diese untersucht den als Dante Anomalie bezeichneten rapiden Klimawandel am Anfang des 14. Jahrhunderts und seine Auswirkungen auf das spätmittelalterliche Europa.

Die Anzeichen des gegenwärtigen, vom Menschen verursachten Klimawandels werden immer alarmierender. Damit wird auch die Erforschung der Frage, wie vergangene Gesellschaften auf natürliche Klimaveränderungen reagierten, dringlicher. In der Forschung wurde häufig argumentiert, dass Klimaveränderungen Gemeinschaften in eine Krise stürzten und so die Bedingungen für den Zusammenbruch von Gesellschaften schufen. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen zeigt jedoch, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf historische Bevölkerungsgruppen selten so unmittelbar und eindeutig waren.

Binäre Fragen, die sich mit vier zentralen Herausforderungen bei HCS befassen: Evidenz interpretieren, Dynamik über Skalen hinweg überbrücken, Kausalmechanik etablieren und Unsicherheit abschätzen, Bildnachweis: Degroot et al., 2021

In einer neuen Studie, die am 24. März 2021 in der bekannten, führenden naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature erschien, stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Disziplinen Archäologie, Geographie, Geschichte und Paläoklimatologie einen Forschungsrahmen für das vor, was sie als „Geschichte von Klima und Gesellschaft“ (HSC = History of Climate and Society) bezeichnen. Dieser Ansatz will verbreitete Probleme und Verzerrungen (Biases) von HCS-Studien aufzeigen und fordert dazu auf, zahlreiche natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Disziplinen in die Betrachtung einzubeziehen.

Vielfältige Verbindungen zwischen Klima und Gesellschaft

Foto: Georgetown University

„Wir wollten herausfinden, warum sich so viel Forschung in diesem Bereich auf Katastrophen und Zusammenbruchsszenarien konzentriert und wie wir mehr Forschung zu den Strategien anregen können, die es früheren Bevölkerungen ermöglichten, mit dem Klimawandel zurechtzukommen“, sagt Dagomar Degroot, Assoziierter Professor für Umweltgeschichte an der Georgetown University (Washington) und Erstautor der Studie. „So hoffen wir, anderen Forschenden dabei zu helfen, vielfältigere Verbindungen zwischen Klima und Gesellschaft zu finden. Dies kann sowohl zu einem realistischeren Verständnis der Vergangenheit als auch zu einem besseren Leitfaden für gesellschaftliches Handeln in der Zukunft führen.“

Fünf Dimensionen der Anpassung

Innerhalb des neu entwickelten Forschungsrahmens erstellte das Forschungsteam Fallstudien von Gesellschaften, die sich an zwei, der am häufigsten untersuchten, Perioden klimatischer Veränderungen anpassen konnten: die spätantike Kleine Eiszeit des 6. Jahrhunderts und diejenige des 13. bis 19. Jahrhunderts. Obwohl beide Perioden viele historische Gemeinschaften unter Druck setzten, zeigen die Fallstudien doch auch, dass sich die Bevölkerungen anpassen konnten. Fünf Dimensionen konnten identifiziert werden:

  1. neue sozioökonomische Chancen,
  2. robuste Energiesysteme,
  3. neue Ressourcen durch Handel,
  4. effektive politische Reaktionen oder
  5. Migration in neue Umgebungen.
Der englische Mönch und Chronist Matthew Paris auf dem Totenbett im Mai 1259. Er starb im Kontext einer grassierenden Epidemie, die auf die wetterbedingten Ernteausfälle und Hungersnöte der Jahre 1257/58 folgte. Bildnachweis: British Library, Royal 14 C VII f 218v

Ein Beispiel für die Widerstandsfähigkeit ist die Reaktion der europäischen Gesellschaften des 13. Jahrhunderts auf die klimatischen Folgen der größten Vulkaneruption der letzten 1000 Jahre. Nach dem Ausbruch des Vulkans Samalas in Indonesien im Jahr 1257 lässt sich für mehrere Jahre eine substantielle Abkühlung in der ganzen Nordhemisphäre anhand der Untersuchung von Baumringen nachweisen. Schriftquellen belegen außerdem massive Niederschläge etwa in Italien, Frankreich oder England im Gefolge des Vulkanausbruchs. Die in die Atmosphäre entlassenen Schwefelmengen führten, wie bei anderen historischen Großeruptionen auch, zu einer lokal unterschiedlich stark ausgeprägten Abkühlung und neuen Großwetterlagen.

1258 war das Munkeljahr

Im deutschen Sprachraum bezeichneten Chroniken das Jahr 1258 sogar als ‚Munkeljahr‘ – vermutlich zu verstehen als ein Jahr, in dem der Wein aufgrund der geringen Sonneneinstrahlung und der erhöhten Feuchtigkeit ‚munkelte‘, also nach Schimmel schmeckte. Missernten in weiten Teilen Europas waren die Folge. Die italienischen Stadtstaaten reagierten darauf effektiver als die Herrschenden West- und Mitteleuropas: Städte wie Siena importierten im großen Stil Getreide aus weniger betroffenen Anbaugebieten. Darüber hinaus legten Stadtregierungen, etwa in Modena, neue Großspeicher für Weizen an oder diversifizierten die Herkunftsregionen ihrer Getreideimporte, wie z. B. Venedig. Zusätzlich erließen Städte wie Bologna Regulierungen ihrer Lebensmittelmärkte, die Preissteigerung für die Bürgerschaft erträglich hielten, aber Menschen ohne Bürgerrechte und die Landbevölkerung benachteiligten.

Foto: GWZO

„Die erfolgreichen Anpassungsbemühungen der italienischen Stadtstaaten zeigen, dass infrastrukturelle, ökonomische und rechtliche Maßnahmen auf einen klimatischen Schock auch im späten Mittelalter erfolgversprechend sein konnten. Ausschlaggebend war die starke Orientierung am Gemeinwohl, die für die Regierenden der Stadtstaaten überlebenswichtig war, weil sie im Fall von Hungersnöten Aufstände riskierten“, sagt Martin Bauch vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO). „Selbstverständlich sind die heutigen Herausforderungen angesichts des menschengemachten Klimawandels andere, weil natürliche Extremereignisse viel mehr Menschen bedrohen als im Mittelalter. Außerdem ist die hochtechnologische Zivilisation der Gegenwart einerseits viel anfälliger für Störungen, andererseits bietet die Technik des 21. Jahrhunderts auch sehr viel bessere Adaptionsmöglichkeiten. Bei aller Notwendigkeit, die CO2-Emissionen so schnell wie möglich massiv zu senken, darf aber – wie im späten Mittelalter – die bedeutende Rolle der Gemeinwohlorientierung für die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit nicht übersehen werden.“

Bisher übersehene Beispiele von Resilienz identifiziert

Das Forschungsteam hofft, dass mit dem vorgestellten Forschungsansatz, der sowohl die sehr unterschiedlichen Auswirkungen vergangener Klimaveränderungen als auch die Herausforderungen bei der Interpretation historischer Quellen berücksichtigt, zukünftige Studien zur Geschichte von Klima und Gesellschaft weitere, bisher übersehene Beispiele von Resilienz identifiziert werden können. So lassen sich auch die Bemühungen zur Anpassung an die beispiellose globale Erwärmung des 21. Jahrhunderts unterstützen.

Das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) erforscht in vergleichender Perspektive die historischen und kulturellen Phänomene und Prozesse in dem Raum zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Die am Institut tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler repräsentieren verschiedene Disziplinen der Geisteswissenschaften, darunter Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. In seiner Forschungsarbeit stützt sich das GWZO auf ein dichtes Netz an Kooperationsbeziehungen mit Wissenschaftseinrichtungen in Europa und Übersee. www.leibniz-gwzo.de