HS München: Kleinräumige Infektionsgeschehen simulieren

In welchen Situationen ist die Ansteckungsgefahr besonders hoch? Prof. Dr. Gerta Köster, Professorin der HM, simuliert alltägliche Situationen wie den Einkauf oder die U-Bahnfahrt Foto: Johanna Weber

Bahnsteig, U-Bahnfahrt oder Ladenbesuch. Wo die Ansteckungsgefahr für Covid-19 hoch oder weniger hoch ist, simuliert Prof. Dr. Gerta Köster von der Hochschule München in CovidSim. Durch kleinräumige Ansteckungsszenarien könnten anstatt globaler Maßnahmen effektive, lokale Schutzmaßnahmen getroffen und den Bürgern vermittelt werden: Drastische Maßnahmen zum Infektionsschutz vor Covid-19 schränken heute die Bewegungsfreiheit der Menschen ein. Diese basieren bisher auf allgemeinen Simulationen, deren Datenbasis dünn und deren Verallgemeinerung für die Gültigkeit in einzelnen Begegnungssituationen im öffentlichen Raum bisher nur angenommen werden konnten.

Doch wo lauert die Ansteckungsgefahr wirklich? Beim Warten am Bahnsteig, bei der U-Bahnfahrt eng auf eng oder in der Kassenschlange im Laden? Prof. Dr. Gerta Köster und ihr Forschungsteam von der Hochschule München entwickeln in CovidSim Simulationen für genau diese kleinräumigen Situationen. „Wir wollen einen Betrag dazu leisten, gefährliche von weniger gefährlichen Situationen zu unterscheiden. Politische Maßnahmen könnten dann lokal ergriffen und den Bürgern via 3D-Animationen plausibel gemacht werden,“ sagt Köster, Professorin an der Fakultät für Informatik und Mathematik. Auf Basis der Simulationen lassen sich Szenarien für die Gestaltung der Räume oder andere Schutzmaßnahmen durchspielen und auf ihre Wirksamkeit untersuchen.

Fußgängerverhalten gemeinsam mit Ansteckungsgeschehen simulieren

Das Forschungsprojekt CovidSim basiert auf mikroskopischen Fußgängermodellen: Diese bilden die Bewegungen der Menschen als die einzelner Agenten ab. Das Forschungsteam der Hochschule München entwickelte bereits einen für die Forschungscommunity frei zugänglichen Simulator für Personenströme: Vadere. In diesem ist der persönliche Raum jedes Agenten – sozialpsychologisch fundiert – über das ‚Optimal Step Modell‘ integriert. Vadere eignet sich deshalb auch grundsätzlich dafür, über den ‚Personal Space‘ der Agenten auch ‚Social Distancing‘ zu simulieren.

Kleinräumige Infektionsereignisse modellieren

Doch um Ansteckungssituationen in der Simulation mit abzubilden muss Vadere um ein Modell für den lokalen Ansteckungsprozess ergänzt werden. Dieses orientiert sich an so genannten SIR-Infektionsmodellen. SIR-Modelle unterscheiden den Zustand von gesunden (susceptible), ansteckenden (infected) und genesenen (recovered) Einzelagenten, die unterschiedlich markiert sind. Für die in CovidSim untersuchten Zeiträume von wenigen Minuten bis zu Stunden, spielen nur gesunde und ansteckende Akteure eine Rolle.

Das Ansteckungsgeschehen wird im Durchlauf der Agenten durch die zwei Stadien zeitlich und räumlich sichtbar gemacht. Der hypothetische Abstand von 1,5 Metern ist dabei nur eine von vielen Größen, deren Einfluss untersucht werden soll. Psychologen des Beratungsbüros Team HF bringen dafür ihre sozialpsychologischen Erkenntnisse zum Verhalten der Menschen beim Abstandhalten sowie medizinische Kenntnisse zu lokalen Ansteckungsprozessen in das Projekt ein. Reales Verhalten wird so zur Grundlage der Simulationen.

Maßnahmen für gefährliche Situationen durchspielen und kommunizieren

Das Ingenieurbüro accu:rate ist ein weiterer Kooperationspartner des Projekts. Es setzt die Ergebnisse von Vadere bereits laufend im kommerziellen Bereich der Personenstromanalyse ein. Mit den Praxiserfahrungen des Projektpartners dazu, wo genau es beispielsweise an Bahnhöfen eng werden kann, erstellt CovidSim Probeszenarios für einen ganzen Bahnhof. Dort werden auch Treppen und Durchgänge simuliert. Der Beitrag von accu:rate sichert die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse bereits während des Forschungsprozesses.

Ziel von CovidSim ist es, die Ergebnisse in einer Form darzustellen, dass Bürger diese verstehen und vorgeschlagene politische Maßnahmen besser akzeptieren können – beispielsweise als Grafiken oder 3D-Animationen in der Corona App. Diese Art der Kommunikation ist selbst Forschungsgegenstand von CovidSim. Die Forschungs-Community profitiert von dem Projekt dadurch, dass die Ergebnisse auf www.vadere.org für weitere Forschungen frei zur Verfügung gestellt werden.