Um die CO2-Einsparziele des Bundesklimaschutzgesetzes zu erreichen, bedarf es eines verbindlichen Masterplans für den Infrastrukturausbau für alternative Antriebe. Zur Unterstützung hat das Fraunhofer IAO im Auftrag der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) in einer Studie die Anforderungen an eine elektrische Lade- und Wasserstoffinfrastruktur im Wirtschaftsverkehr bis 2030 analysiert: Um das im Pariser Klimaschutzabkommen festgehaltene Ziel zu erreichen, die globale Erderwärmung zu verlangsamen, müssen alle Sektoren ihre CO2-Emissionen in den kommenden Jahren und Jahrzenten wesentlich mindern. Im Verkehrssektor ist dafür eine klare Strategie mit Maßnahmen für alle Verkehrsträger und der Schaffung der entsprechenden Voraussetzungen notwendig. Hierbei kann der Wirtschaftsverkehr, insbesondere aufgrund der schwereren Lastkraftwagen, einen wesentlichen Beitrag leisten.
Da in diesem Bereich aktuell an verschiedenen alternativen Antrieben geforscht und entwickelt wird, besteht für Hersteller aufgrund des hohen Zeitdrucks jedoch das Risiko, in die falsche Technologie zu investieren. Schließlich muss die jeweilige Infrastruktur für alle Technologien parallel aufgebaut und bezahlt werden. Aus diesem Grund bedarf es eines detaillierten und verbindlichen Plans für den Infrastrukturausbau in Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Um dieses Vorgehen zu unterstützen, hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO im Auftrag der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) die Anforderungen an eine elektrische Lade- und Wasserstoffinfrastruktur für den Wirtschaftsverkehr analysiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die im Rahmen der FAT-Schriftenreihe erscheinende Studie »Anforderungen an eine elektrische Lade- und Wasserstoffinfrastruktur für gewerbliche Nutzfahrzeuge mit dem Zeithorizont 2030« zeigt die branchenspezifischen Anforderungen und Potenziale für den Einsatz alternativer Antriebe auf, insbesondere für das elektrische Laden auf Betriebshöfen sowie die zusätzlichen Bedarfe an eine öffentliche Ladeinfrastruktur.
Anforderungen aus Nutzersicht und über Simulationsmodelle erfasst
Ziel war es, sowohl die Anforderungen für die verschiedenen Branchen aus Nutzersicht zu evaluieren als auch die technischen Voraussetzungen für das elektrische Laden auf Betriebshöfen im Jahr 2030 zu beleuchten. Des Weiteren hat das Forschungsteam die Potenziale für Wasserstofftechnologien betrachtet. Dafür haben die Expert*innen des Fraunhofer IAO im ersten Schritt den aktuellen Stand und allgemeine Entwicklungstendenzen im Umfeld alternativer Antriebe dargestellt.
Im zweiten Schritt folgten Tiefeninterviews mit Vertretenden aus unterschiedlichen Branchen und Nutzergruppen im Wirtschaftsverkehr, um spezifische Aussagen zur zukünftigen Ausgestaltung und Nutzung der Infrastrukturen sowie der eingesetzten Fahrzeuge treffen zu können. Anschließend haben die Forschenden die Mindestanforderungen der beiden Volumenmärkte KEP- (Kurier-, Express- und Paketdienste) sowie Speditionslogistik für das Laden von elektrifizierten Nutzfahrzeugen auf Betriebshöfen mithilfe von Simulationsmodellen untersucht. »Für viele Einsatzzwecke der Fahrzeuge können die Betriebshöfe einen wesentlichen Beitrag zur Ladung leisten. Einige Nutzergruppen sind jedoch auf eine öffentliche Infrastruktur zwingend angewiesen. Die individuellen Bedarfe sind dabei sehr heterogen«, fasst Florian Klausmann, Projektleiter am Fraunhofer IAO, zusammen.
Auswahl der geeigneten Ladeinfrastruktur hängt von jeweiliger Branche ab
Die simulierten Nutzergruppen der betrachteten Branchen konnten nach der Art ihres Mobilitätsverhaltens in vier Bereiche unterteilt werden: Fahrzeuge mit Stellplatz auf dem eigenen Betriebshof, Fahrzeuge ohne eignen Betriebshof, Fahrzeuge mit mehrtägigen Touren und längeren Standzeiten über Nacht sowie hoch ausgelastete Fahrzeuge mit minimalen zeitlichen Lademöglichkeiten.
Nach der Auswertung der Untersuchungsergebnisse wurde deutlich, dass die verschiedenen Branchen und Nutzergruppen individuelle Bedarfe und damit auch unterschiedliche Anforderungen an eine (öffentliche) Ladeinfrastruktur aufweisen. Dies betrifft zum einen die Ladeleistung. Lastkraftwagen im nationalen Güterverkehr der Speditionen könnten beispielsweise während ihrer nächtlichen Ruhezeit in der Nähe von Autobahnen mit moderater Leistung ressourcenschonend geladen werden. Die überregional agierenden Fahrzeuge der KEP-Branche sind dagegen rund um die Uhr unterwegs und benötigen Lademöglichkeiten mit sehr hohen Leistungen, um ihre Touren schnell fortsetzen zu können. »Im nächsten Schritt müsste mithilfe von quantitativen Bedarfsplanungen überprüft werden, was wirtschaftlicher ist: die Errichtung von mehreren Nachtladestationen oder einer Hochleistungsschnellladestation«, sagt Lars Mauch vom Fraunhofer IAO.
Verschiedenen Branchen und Nutzergruppen haben individuelle Bedarfe
Zum anderen spielt auch der Ort für den Ladevorgang eine wichtige Rolle. Insbesondere regional agierende Fahrzeuge von externen Dienstleistern oder Sub-Unternehmern, die keinen eigenen Betriebshof besitzen, parken über Nacht häufig in Gewerbegebieten. Diese könnten demnach nachts an öffentlichen Nachtladestationen mit geringen Leistungsanforderungen geladen werden. Eine kurze Ladung auf den Betriebshöfen ihrer Auftraggeber vor und nach der Tour erscheint dem Forschungsteam dagegen eher unrealistisch, aufgrund der daraus resultierenden hohen Spitzenlasten. »Für die Gewerbegebiete sollten regionale Infrastrukturkonzepte, unter Berücksichtigung der ansässigen Branchen, entwickelt werden«, so Klausmann. Eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge muss aus Sicht der Forschenden somit mindestens an drei Orten aufgebaut werden: auf Betriebshöfen, in Gewerbegebieten und an Raststätten bzw. Parkplätzen an Autobahnen und Fernstraßen. Dabei müsse die Heterogenität der Anforderungen im Wirtschaftsverkehr stärker berücksichtigt werden.