Agri-Photovoltaik hilft Landwirtschaft und Energiewende

Ballenpresse im Solarpark Donaueschingen @Next2Sun

Nach Angaben des Umweltbundesamtes sank im Zeitraum zwischen 2004 und 2019 der Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche in Deutschland um 8.045 Quadratkilometer also von 53,0 auf 50,7 Prozent der Gesamtfläche. Diese Abnahme habe, so die Bundesbehörde weiter, besonders im Umland städtischer Verdichtungsräume stattgefunden. Der wichtigste Grund dafür sei die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen um 4.362 Quadratkilometer im gleichen Zeitraum. Weitere Landwirtschaftsfläche falle dem Tagebau zum Opfer und könne erst Jahrzehnte später und auch nur teilweise durch Rekultivierung zurückgewonnen werden. Die Landwirtschaft in Deutschland stehe damit vor der Herausforderung, dass Ackerflächen zunehmend rar würden.[1] 

Vor diesem Hintergrund erinnert das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme daran, dass aber auch die Energiewende weitere Flächen zur Erzeugung von Solarstrom benötige. Für ein klimaneutrales Energiesystem muss nach Berechnungen der Wissenschaftler in Deutschland die installierte Photovoltaik-Kapazität bis zum Jahr 2050 um den Faktor acht bis zehn erhöht werden. [2] Zu diesem Problem scheint es inzwischen aber eine Lösung zu geben: Agri-Photovoltaik. Die in Kurzform als Agri-PV benannte Technologie könne, so dass Fraunhofer Institut weiter, die Flächenkonkurrenz durch eine doppelte Nutzung der Flächen entschärfen. Die Technologie erzeuge erneuerbaren Strom, ohne dass dabei fruchtbarer Ackerboden verloren ginge.

Doppelter Nutzen für die Landwirtschaft

Ein möglicher Lösungsansatz könnte in einer doppelten Nutzung landwirtschaftlicher Böden liegen: Agri-PV böte die Chance, große Photovoltaik-Flächen im Freiland umzusetzen und gleichzeitig Ackerboden für die Nahrungsmittelproduktion zu erhalten. Und auf einen weiteren positiven, quasi Nebeneffekt, weisen die Forscher hin: Gleichzeitig könne eine effiziente Integration Agri-PV Pflanzen und Böden vor negativen Umwelteinflüssen schützen und einen Beitrag zu Klimaschutz und Klimaanpassung liefern. Durch ein gezieltes Lichtmanagement ließen sich die Erträge aus Agri-PV und Photosynthese optimieren. Zusätzlich würde die Wertschöpfung in den ländlichen Räumen gefördert, da Agri-PV-Projekte in den allermeisten Fällen dezentral von Landwirten, Gemeinden sowie klein- und mittelständischen Unternehmen installiert würden. Für die Landwirtschaft ergäben sich dadurch zusätzlich ökonomisch tragfähige Bewirtschaftungsmöglichkeiten.

@Next2Sun

Besonders innovativ ist dabei die Firma Next2Sun GmbH, die ein völlig neuartiges Photovoltaik Anlagenkonzept realisiert hat und für dieses bifaciale vertikale Agri-PV-Konzept 2020 mit dem Deutschen Solarpreis 2020 ausgezeichnet worden ist. Die Umwelttechniker haben sich ein Gestellsystem für vertikale bifaciale PV-Anlagen auf Agrarflächen einfallen lassen und dieses bis zur Marktreife entwickelt und patentieren lassen. Durch diese besondere Anlagentechnik sind gleichzeitig Landwirtschaft und Energieerzeugung möglich. Wir sprachen mit Sascha Krause-Tünker, einem der Geschäftsführer der Next2Sun GmbH aus Freiburg.


Zu Beginn einer technischen Innovation steht ja meist eine Idee, eine Notwendigkeit oder ein Zufall. Wie war das im Fall next2sun?

Sascha Krause-Tünker: In unserem Fall stand zu Beginn die Frage: Wie kann ich in den Morgen- und Abendstunden mit Photovoltaik Strom erzeugen? Der tägliche Produktionsverlauf der Photovoltaikanlagen hat die Form einer Glockenkurve. Die Produktion weist jeweils eine Spitze am Mittag auf. Unser Gründer Heiko Hildebrandt hatte sich damals die Aufgabe gestellt, diese Glocken-Kurve quasi zu glätten. Die Untersuchungen zu den damals gerade aufkommenden, flach geneigten Ost-West-Anlagen mit konventionellen Modulen zeigten, dass diese noch kaum einen glättenden Effekt und ihr Produktionsmaximum immer noch mittags haben. Die erste Überlegung war dann natürlich, dass die Module steiler in Ost- und West- Richtung stehen müssen – wodurch allerdings der Ertrag jedes Moduls sinkt.

@next2Sun

Wie ist es dann zu der heutigen Technik gekommen?

Der entscheidende Punkt ist, dass man durch die Verwendung bifacialer Module die Module komplett senkrecht stellen kann – und dann nur noch ein Modul für beide Richtungen benötigt und nicht mehr zwei. Nun waren bifaciale Module damals – 2013 – noch ebenso exotisch wie Ende der 90er – allerdings in der Zellforschung gerade im Anmarsch. Insofern war es eine mutige Entscheidung, damals auf dieses Konzept zu setzen, aber aus heutiger Sicht die richtige. Das Problem des fehlenden Solarstromes am Morgen und am Abend war damit gelöst, und die Jahreserträge sind je nach Standort sogar besser als bei einer konventionellen Anlage. Und nicht nur das, es kommt auch ein anderer finanzieller Aspekt dazu: In den Abend und Morgenstunden sind die Strompreise höher. So wird die Verfügbarkeit von direkt erzeugter Photovoltaikenergie deutlich erweitert und den Bedarf an Stromspeichern reduziert, was die Umsetzung der Energiewende schneller und effizienter macht.

Damit hat die Photovoltaik sicher einen Entwicklungsschub erhalten. Aber welche Vorteile hat die Landwirtschaft?

Unsere Anlagentechnik benötigt viel weniger Platz als konventionelle Anlagen, womit wir das Problem der Flächenkonkurrenz lösen und so weiterhin eine landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen. Durch die vertikale Aufständerung des Systems werden nur circa 1 Prozent der Grundfläche überbaut, so dass gut 90 Prozent der Fläche weiterhin effizient und maschinell landwirtschaftlich nutzbar sind.

Gibt es weitere positive Aspekte für die Landwirtschaft?

Ja, es können durch die Verschattung und die Reduktion bodennaher Winde, besonders in den heißen und trocknen Sommern, Pflanzen und Böden vor Austrocknung geschützt werden und so die Ernteerträge stabilisiert und sogar erhöht werden. Mit nur 10-15 Prozent Verlust der direkten Sonneneinstrahlung in den Reihenzwischenräumen wird die Energie- und Wärmeversorgung im Bereich des Pflanzenwuchses marginal reduziert. Ferner können im direkten Umfeld der Modulreihen beispielsweise durch Totholz-, Stein- oder Altgrassteifen hochwertige Lebensräume für Flora und Fauna geschaffen werden. Landwirtschaft kann so nachhaltiger werden.

@Next2Sun

Gibt es auch andere Bereiche, außerhalb der Landwirtschaft, in denen die bifaciale Anlagentechnik eingesetzt werden kann?

In der Tat haben wir gemeinsam mit unseren österreichischen Partnerunternehmen Leitinger Photovoltaik GmbH unsere Anlagentechnik als Solarzaun auch für andere Nutzungen angepasst. Hierbei gibt es viele mögliche Anwendungen von der privaten Installation, als Alternative oder Ergänzung zur Aufdachanlage, was nebenbei bemerkt auch im privaten Bereich eine ganztägliche PV-Stromproduktion ermöglicht, bis hin zur Einfriedung von landwirtschaftlichen und gewerblichen Flächen wie etwa Logistikparks.

Was genau ist ein Solarzaum?

Zuallererst einmal ist ein Solarzaun eine solide Stahlkonstruktion, genauso wie das Gestellsystem für die Freifläche. Es besteht aus jeweils zwei Pfosten und Riegeln. Die Gesamthöhe des Zaunes ist flexibel modifizierbar. Das Zaunsystem besteht aus einem nahezu verschattungsfrei montierten, bifacialen Solarmodul sowie einem zwischen Modulunterkante und Geländeroberkante montierten Stabgitterelement. Und was sicher erwähnenswert ist, neben den Funktionen Stromerzeugung und Einfriedung kann der Zaun speziell für den Hühnerbetrieb auch Schutz vor Greifvögeln bieten: Im Schatten der Module sind die freilaufenden Hühner nur schwer aus der Luft zu erkennen. Aber nicht nur bei Hühnern lässt sich der Zaun nutzen. Wir haben auch schon Pferdekoppeln und Rinderweiden umzäunt.

@Next2Sun

Was sind die nächsten Ziele von Next2Sun?

Wir wollen unseren Startvorteil als Pionier in der Agri-Photovoltaik und die Vorteile unseres Anlagenkonzeptes im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Landwirtschaft, Ökologie und Energieerzeugung zu nutzen, um uns als einer der wesentlichen Player im Segment der Agri-Photovoltaik in Deutschland zu etablieren. Wir möchten aber auch unsere internationale Präsenz ausbauen und unser vertikales bifaciales Agri-PV-System sowie unseren Solarzaun weltweit verfügbar machen. Dies müssen wir aber nicht unbedingt allein bewerkstelligen, sondern setzen hierbei auf partnerschaftliche Konzepte mit lokalen Projektentwicklern und Distributoren, die unsere Tochterfirma Next2Sun Mounting Systems mit der Next2Sun-Technologie beliefert und unterstützt.


[1] https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/struktur-der-flaechennutzung#die-landwirtschaftlich-genutzte-flache-schrumpft

[2] https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/APV-Leitfaden.pdf