Ökologische Gemeinschaften von Säugetieren blieben über Jahrmillionen hinweg in ihren Wechselbeziehungen stabil, obwohl die einzelnen Arten ausstarben und durch neue ersetzt wurden. Diese Stabilität konnte auch durch mehrere Umweltkrisen nicht beeinträchtigt werden. Wissensbasierte Maßnahmen zum Schutz von kompletten Ökosystemen sind langfristig für die Gesellschaft erfolgreicher als eine Fokussierung auf einzelne Arten. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie, die von einem interdisziplinären Team aus Forschern aus dem Museum für Naturkunde Berlin / Deutschland und Spanien im Wissenschaftsjournal Science veröffentlicht wurde.
Das Team beschäftigte sich mit einer in der Naturschutzbiologie schon lange diskutierten Frage: Sollen sich Schutzbemühungen vor allem auf einzelne gefährdete Arten fokussieren? Oder ist es sinnvoller, sich auf die ökologischen Funktionen und Prozesse eines Ökosystems zu konzentrieren, die auch als sogenannte Ökosystemdienstleistungen für uns Menschen von Bedeutung sein können? Um herausfinden, welche dieser beiden Alternativen langfristig nachhaltiger ist, untersuchten die Forscher fossile Säugetiergemeinschaften der letzten 21 Millionen Jahre und verglichen die jeweilige Artenvielfalt mit den ökologischen Funktionen, welche die einzelnen Arten in ihren Ökosystemen einnahmen. Zum Beispiel kann eine Gemeinschaft viele Pflanzenfresser beinhalten, die ausschließlich Knospen, Blätter und Zweige fressen. Hingegen hat eine andere Gemeinschaft beispielsweise weniger Pflanzenfresser, aber darunter sind Grasfresser.
Was passiert mit diesen Gemeinschaften, wenn sich zum Beispiel das Klima ändert?
„Ein besseres Verständnis über das Verhalten von Ökosystemen in der Vergangenheit hilft uns dabei, wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zum Schutz unserer heutigen Systeme zu treffen“, sagt Erstautor Fernando Blanco vom Museum für Naturkunde Berlin. „Indem wir tief in die erdgeschichtliche Vergangenheit schauen, können wir grundsätzliche Fragen zur langfristigen Stabilität von Ökosystemen stellen”, ergänzt Johannes Müller, Co-Autor und Professor am Museum für Naturkunde Berlin. Für seine Untersuchung konnte das Team auf fossile Großsäuger der Iberischen Halbinsel zurückgreifen, die mit einer Spanne von 21 Millionen Jahren bis in das Untere Miozän zurückreichen.
„Dieser Fossilnachweis gehört zu den vollständigsten und bestuntersuchten auf der Welt für diesen Zeitabschnitt. Daher war er ideal für unsere Arbeit geeignet“, sagt Soledad Domingo, Co-Autorin der Studie und Professorin an der Universität Complutense in Madrid.
Unter Verwendung einer sogenannten Netzwerk-Analyse erstellten die Forscher einerseits Gruppierungen von Gemeinschaften mit ähnlicher Artenvielfalt und andererseits solche mit einer ähnlichen Ökologie. Dafür berücksichtigten sie Informationen über die jeweilige Ernährungsweise, die Körpergröße und die Art der Fortbewegung und ordneten diese in „funktionelle Einheiten“. „Die allgemeine wissenschaftliche Auffassung ist, dass der Schutz dieser sogenannten funktionellen Diversität einem Ökosystem dabei helfen sollte, in Anbetracht äußerer Einflüsse stabiler zu bleiben“, sagt Joaquin Catalayud von der Universität Rey Juan Carlos in Madrid und Co-Autor der Studie.
Erhebliche globale Störungen konnten die ökologische Struktur nachhaltig ändern
Die Forscher fanden heraus, dass die fossilen Säugetiergemeinschaften auf ihrer funktionellen Ebene wesentlich widerstandsfähiger gegenüber Umweltveränderungen waren als in ihrer jeweiligen Artenzusammensetzung. Nur erhebliche Störungen auf globaler Ebene konnten die ökologische Struktur nachhaltig ändern. So sind die heutigen Säugetiergemeinschaften der Iberischen Halbinsel in Bezug auf ihre ökologischen Wechselbeziehungen immer noch jenen von vor 8 Millionen Jahren ähnlich. „Überraschenderweise ist die funktionelle Struktur der iberischen Säugetiergemeinschaften trotz massiver klimatischer Veränderungen stabil geblieben. Sie überdauerten die Austrocknung des Mittelmeers vor rund 6 Millionen Jahren ebenso wie die klimatischen Veränderungen während der Eiszeiten“, so Manuel Hernández Fernández, Co-Autor und Professor an der Universität Complutense in Madrid.
Maßnahmen zum Schutz von Ökosystem-Funktionen haben langfristig wesentlich größere Effekte als eine Fokussierung auf einzelne Arten, so das Ergebnis der Studie. Aber auch der Schutz von langlebigen ökologischen Gemeinschaften bedeutet nicht zwingend, dass die darin enthaltenen Arten ebenfalls bessere Zukunftsaussichten haben.
„Auch Arten aus ökologisch-funktionell vielfältigen Gemeinschaften verfügen einzeln betrachtet über kein geringeres Aussterberisiko als Arten aus funktionell weniger reichen Gemeinschaften“, sagt Blanco.
„Natürlich ist uns bewusst, dass Schutzmaßnahmen nicht nur auf wissenschaftlicher Grundlage, sondern auch auf Basis politisch-gesellschaftlicher Überlegungen erfolgen, aber wir müssen uns über die langfristigen Prioritäten unseres Handelns im Klaren sein.“