Innovationsschub in der Infrarot-Technologie gefordert

Infrarot-Sensoren für die Medizin müssen aufwendig in Reinräumen gefertigt werden. Foto: Avocadofilm

Die Infrarot-Spektroskopie ermöglicht vielversprechende Anwendungen in der medizinischen Diagnostik und Analytik – doch in die notwendige technologische und methodische Weiterentwicklung wird kaum noch investiert. Forschende und Industriepartner aus dem deutschsprachigen Raum rufen die Politik dazu auf, den notwendigen Innovationsrahmen zu schaffen. Andernfalls drohe man international den Anschluss zu verlieren. Der Forschungsverbund „Leibniz Gesundheitstechnologien“ unterstützt die Initiative und sieht ein großes Potential der Technologie in der klinischen Bildgebung und Point-of-Care-Diagnostik.

Den Blutzucker messen, ohne zu stechen, anhand der Atemluft Lungen- und Nierenkrankheiten oder Diabetes schon im Frühstadium erkennen oder die chemische Zusammensetzung von Gewebe bestimmen, um krankhafte Veränderungen aufzuspüren: Die Infrarot-Spektroskopie eröffnet eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten für die nicht-invasive medizinische Diagnostik. Auch in der Pharma-, Lebensmittel- und Umweltanalytik könnte das Messverfahren entscheidende Fortschritte ermöglichen. Dieses Potential allerdings droht ungenutzt zu versanden, warnt nun ein Netzwerk von Forschenden und Industriepartnern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einem gemeinsamen Positionspapier. Denn die IR-Spektroskopie werde derzeit mehrheitlich als Routine-Messverfahren betrieben und gelehrt — die methodische Weiterentwicklung bleibe dabei auf der Strecke. Forschungseinrichtungen und Gerätehersteller im deutschsprachigen Raum könnten international den Anschluss verlieren, fürchten die Experten. Zu der interdisziplinären Gruppe gehören Mitglieder aus dem Forschungsverbund „Leibniz Gesundheitstechnologien“, der Freien Universität Berlin und der Universität Innsbruck sowie von Spektrometer- und Optoelektronik-Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum.

Schlüsseltechnologie für Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung

Die Forschenden aus Analytik und Chemie wollen mit Partnern aus der Industrie neue Anwendungspotenziale der IR-Spektroskopie erschließen. Im Fokus stehen die Erforschung und Entwicklung neuer Techniken bei Strahlungsquellen, Sensortechniken und Detektoren sowie der KI-gestützten Auswertung, insbesondere für biomedizinische Fragestellungen. Die IR-Spektroskopie liefert eine Fülle an Informationen, insbesondere für die gleichzeitige Bestimmung chemischer und physikalischer Parameter und ermöglicht Analysen ohne die Verwendung von externen Labeln. Dies mache sie zu einer Schlüsseltechnologie auf dem Gebiet der Gesundheitstechnologien sowie in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung, betonen die Forschenden. Hier könne die IR-Spektroskopie viele neuartige Verfahren ermöglichen: für die Diagnostik, das Monitoring und die Behandlung in der Human- und Tiermedizin ebenso wie für das Monitoring von Umweltparametern und die Qualitätskontrolle von Lebensmitteln.

Appell an die Politik: In die Entwicklung neuer Methoden investieren

Man wolle öffentliche Mittelgeber ermuntern, wieder verstärkt Projekte zur Methodenentwicklung zu fördern. „Es ist dringend erforderlich, das vorhandene Potential der Methodenforschung nachhaltig zu sichern und auszubauen“, appellieren die Experten. „Um neue Ansätze in Produkte und Dienstleistungen zum Wohl der Gesellschaft überführen zu können, besteht ein wesentlicher Bedarf an geeigneter Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur.“ IR-basierte Spektrometer-Technologien müssten ausgebaut werden. Die Herausforderungen reichten von der Grundlagen- über die anwendungsorientierte Forschung bis zur Entwicklung von neuen Spektrometern und Auswertesoftware, insbesondere auf dem Gebiet von Deep-Learning-Verfahren für die Datenauswertung.

Lösungsvorschläge, um den Innovationsschub in der IR-Technologie zu ermöglichen

In ihrem im April 2021 veröffentlichten Positionspapier skizzieren die Experten aus Forschung und Industrie konkrete Lösungsvorschläge, um den Innovationsschub in der IR-Technologie zu ermöglichen. In einem IR-Spektroskopie-Technologie-Hub sollten vorhandene Kompetenzen gebündelt und zugänglich gemacht werden. Es sei notwendig, IR-basierte Methoden mit „Enabling Technologies“ — etwa Mikro- und Nanotechnologien, Mikrofluidik und Fasertechnologie — zu kombinieren sowie mit statistischen Auswerteverfahren und Verfahren auf der Grundlage Künstlicher Intelligenz. Deep-Learning-Ansätze für die Auswertung von IR-Spektren müssten neu bzw. weiterentwickelt werden.

Die IR-Spektroskopie mit Infrarot-Sensoren ermöglicht erstmals nicht-invasive Glukose-Messung im Blut von Diabetes-Patienten. Erste Produkte sollen bereits 2022 als Handheld-Format und 2024 als Armband (rechts) auf dem Markt kommen. Grafik: DiaMonTech AG

Kontinuierlichen Qualifizierung von wissenschaftlichem und technischem Personal

Forschungsbedarf sieht die Gruppe auch bei IR-Spektroskopie-Technologien, IR-Strahlungsquellen, IR-Sensortechniken und IR-Detektoren. Um die Erforschung integrierter Systeme für gezielte Fragestellungen zu ermöglichen, sollten künftig Verfahrensentwicklung und Systemtechnologie ineinandergreifen. Um die Potentiale der IR-Spektroskopie insgesamt besser und effizienter zu erschließen, sei es unabdingbar, die Rahmenbedingungen zu verbessern — insbesondere in der kontinuierlichen Qualifizierung von wissenschaftlichem und technischem Personal an Universitäten und Forschungseinrichtungen. „Dies ist entscheidend für Fortschritte in der Forschung und für deren wirtschaftliche Anschlussfähigkeit“, betonen die Forschenden.

Positionspapier unter: http://www.ir4future.de