Ist die Klimasensitivität höher als gedacht?

Grundwasserbrunnen im Cambay-Becken in Gujarat (Indien). An dem in solchen Brunnen gepumpten alten Grundwasser werden die Edelgasgehalte gemessen, um die Temperatur zum Zeitpunkt der Versickerung des Wassers zu bestimmen. Werner Aeschbach

Die letzte Eiszeit vor rund 20.000 Jahren war unter Umständen kälter als dies bisherige Rekonstruktionen der globalen Temperatur in diesem Zeitraum vermuten lassen. Darauf deutet eine internationale Metastudie hin, die mit Beteiligung von Prof. Dr. Werner Aeschbach vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg durchgeführt wurde. Zusammengefasst sind darin die Ergebnisse aus über 30 Einzelstudien. Die daraus hervorgehenden kalten eiszeitlichen Temperaturen weisen auf eine höhere Klimasensitivität hin. Diese ist in der Klimawissenschaft eine zentrale Größe, um die mittlere globale Erwärmung im Falle einer Verdopplung des Kohlendioxidgehaltes der Atmosphäre zu berechnen, und gilt somit als Indikator für die Stärke des Klimawandels.

@Uni Heidelberg

Eine höhere Sensitivität würde nach den Worten von Prof. Aeschbach bedeuten, dass die Erderwärmung höher ausfallen könnte als bislang angenommen. Die Klimasensitivität hängt vom Zusammenspiel verschiedener Rückkopplungseffekte ab und lässt sich deshalb kaum exakt bestimmen. Vom Weltklimarat – dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – wird die Klimasensitivität auf etwa drei Grad Celsius geschätzt, mit einem Unsicherheitsbereich zwischen zwei und 4,5 Grad. Nach Angaben von Prof. Aeschbach besteht ein Weg zur Bestimmung der Klimasensitivität darin, die globale Temperatur des sogenannten Letzten Glazialen Maximums (LGM) zu rekonstruieren. Gemeint ist damit der Höchststand der eiszeitlichen Vergletscherung, wie sie zuletzt vor rund 20.000 Jahren aufgetreten ist. Aus dem Temperaturunterschied zwischen diesem eiszeitlichen Maximum und der aktuellen Warmzeit, die seit etwa 10.000 Jahren anhält, lassen sich Rückschlüsse auf die Klimasensitivität ziehen.

Als besonders zuverlässige Methode, um die Temperatur vergangener Epochen zu rekonstruieren, gilt die Edelgasmethode. Anders als andere Ansätze ermöglicht es dieses landgestützte Paläothermometer, die Temperaturen zu bestimmen, die an Land – auf den Kontinenten – herrschten. Gemessen werden dazu die Konzentrationen von Edelgasen in altem Grundwasser, das bis heute in den großen Sedimentbecken der Welt erhalten geblieben ist. „Die Löslichkeit von Edelgasen in Wasser ist temperaturabhängig, und dieser Zusammenhang ist genau bekannt“, erläutert Prof. Aeschbach, Leiter der Arbeitsgruppe Hydrosphärische Tracer und Proxies am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. „Indem wir die Konzentrationen von Edelgasen in diesen Wasservorkommen messen, können wir die Temperatur bestimmen, die zum Zeitpunkt der Versickerung herrschte.“

Auf der Grundlage von methodischen Beiträgen des Heidelberger Umweltphysikers wurden nun in einer groß angelegten Metastudie erstmals die Resultate aus über 30 Einzelstudien zusammengeführt. Gleichzeitig werteten die Wissenschaftler systematisch ältere Studien nach aktuellen Standards erneut aus und berechneten die Edelgastemperaturen neu. „Zu den wichtigsten Erkenntnissen unserer Metastudie gehört, dass der Temperaturunterschied zwischen dem LGM und der aktuellen Warmzeit erstaunlich hoch ist“, sagt Prof. Aeschbach, der an der Durchführung einiger dieser Studien beteiligt war. So ergab die Neuauswertung der Daten für die niedrigen und mittleren Breitengrade eine Abkühlung während der Eiszeit um durchschnittlich etwa 5,8 Grad Celsius – ein Wert, der im Widerspruch zu herkömmlichen Rekonstruktionen der tropischen Meeresoberflächentemperaturen steht.

Für sich genommen ist dieser Wert nicht aussagekräftig genug, um Rückschlüsse auf die globale Temperatur während der letzten Eiszeit zu ziehen“, sagt Prof. Aeschbach. „Setzt man unsere Ergebnisse jedoch in den Kontext aktueller Studien, die auf ozeanischen Daten beruhen, weisen sie auf eine deutlich kältere Welt im Letzten Glazialen Maximum hin. Das wiederum bedeutet, dass die Klimasensitivität möglicherweise höher ist als bisher gedacht.“ Die sieben an der Metastudie beteiligten Forscher nehmen an, dass der tatsächliche Wert bei etwa 3,5 Grad Celsius liegen könnte. Mit Blick auf den aktuellen Klimawandel könnte das bedeuten, dass sich die Erde künftig insgesamt stärker erwärmen wird als bisherige Klimamodelle erwarten lassen.