Chemische Stoffe gelangen über eine Vielzahl von Konsumartikeln oder Arzneimitteln in das Abwasser. Künftig muss schon bei ihrer Herstellung viel stärker darauf geachtet werden, diesen Eintrag frühzeitig zu verringern, sonst kann eine wirkungsvolle Abwasserreinigung nicht mehr sichergestellt werden. In einem jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science erschienenen Beitrag beschreibt der Chemiker Professor Dr. Klaus Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg zusammen mit Kollegen die aktuellen Probleme der Abwasserreinigung und Trinkwasseraufbereitung. Für die Forscher ist klar: Chemische Substanzen müssen künftig in der Umwelt schnell unschädlich werden, sonst steht die Abwasserreinigung vor fast unlösbaren Problemen.
Chemikalien sind aus dem modernen Leben nicht wegzudenken, sichern sie doch Wohlstand, Gesundheit und Lebensqualität. Viele chemische Stoffe bereiten aber auch Probleme, weil sie in den Wasserkreislauf und über diesen auch in die Nahrungskette gelangen. Schon heute stößt die Abwasserreinigung an ihre Grenzen, wenn es darum geht, alle kritischen Stoffe zu entfernen. Immer aufwendigere Verfahren werden dafür benötigt. Dadurch steigen die Kosten und auch der Einsatz zusätzlicher Chemikalien wird erforderlich. Trotzdem wird das Wasser nicht immer sauber, manchmal sogar zusätzlich verschmutzt.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Klimawandel: Starkregenereignisse und in deren Folge Überschwemmungen können Kläranlagen beschädigen. Der Großteil des Wassers gelangt dann an der Kläranlage vorbei ungereinigt in die Oberflächengewässer. Das führt zu weiteren Gefahren für das Grundwasser. Hinzu kommt, dass in 80 Prozent der Länder dieser Erde überhaupt keine Abwasserreinigungsanlagen existieren.
„Wir müssen viel größeren Wert darauf legen, dass kritische chemische Stoffe gar nicht erst ins Abwasser gelangen. Wo dies unvermeidlich ist, müssen chemische Stoffe und Arzneimittel von Anfang an so designt werden, dass sie in der Umwelt keinen Schaden anrichten“, ist Kümmerer überzeugt. Es sei viel effektiver, die Verschmutzung der Umwelt schon an der Quelle zu bekämpfen, als immer aufwendigere Reinigungsverfahren zu entwickeln. Für die Industrie bedeute dies, die Anzahl der verwendeten Chemikalien in den Produkten zu reduzieren, nicht-abbaubare durch abbaubare Stoffe zu ersetzen und unterschiedliche Abwässer möglichst getrennt zu halten, um sie leichter und besser reinigen zu können.
Aus Produktionsabwässern lassen sich auch Stoffe zurückgewinnen und erneut verwenden, wie etwa Salz oder Farbstoffe bei der Textilfärbung. Mikroplastik, das in der Kosmetik-Industrie häufig eingesetzt wird und große Probleme in der Umwelt verursacht, kann durch ungefährliche Materialien problemlos ersetzt werden. In der aktuellen Diskussion um die Vermeidung problematischer Abwässer besteht ein aussichtsreicher Ansatz darin, die Funktion chemischer Substanzen für den Produktionsprozess und im Produkt genau zu analysieren und nach nicht-chemischen Alternativen zu suchen, die den gleichen Zweck erfüllen.
„Wir werden weiter Chemikalien und Arzneimittel benötigen. Der beste Weg, das Problem der damit einhergehenden Umweltverunreinigung zu lösen, lautet aber ‚benign by design’“, ist sich Kümmerer sicher. „Wir müssen dahin kommen, chemische Stoffe so zu gestalten, dass sie in der Umwelt schnell und vollständig wieder abgebaut werden können“, sagt der Experte für nachhaltige Chemie. Damit das künftig besser zum Tragen kommen könne, benötige man neben guten Anreizsystemen auch eine entsprechende Regulierung, eine bessere Innovationskultur und ein Bewußtsein dafür, dass mit neuen, serviceorientierten Geschäftsmodellen und umweltverträglicheren Stoffen auch Geld verdient werden kann.