Ein Team aus 300 europäischen Wissenschaftlern hat in Abstimmung mit der EU-Kommission Empfehlungen erarbeitet, wie die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union mit den bereits beschlossenen Instrumenten einen substantiellen Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt leisten kann. Der Bericht, verfasst von Forschenden des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Thünen-Instituts und der Universität Rostock, wird der EU-Kommission am 19. Mai in einem öffentlichen Online-Symposium vorgestellt.
Bis Ende Mai will die Europäische Union klären, nach welchen Regeln die Landwirte im Rahmen der GAP künftig gefördert werden sollen. In einem abschließenden „Super-Trilog“ sollen die bislang zähen Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Ministerrat und EU-Kommission zu Ende geführt werden. Immerhin geht es um 365 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027. Im Zentrum der Verhandlungen steht die konkrete Ausgestaltung der Grünen Architektur der künftigen GAP. Die Grüne Architektur ist die Antwort der EU auf das bisher verfehlte Ziel, die Umweltbilanz der europäischen Landwirtschaft zu verbessern und insbesondere den Verlust der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen aufzuhalten. Sie umfasst im Wesentlichen drei Instrumente:
(1) Erweiterte Konditionalität: Um GAP-Zahlungen zu erhalten, müssen Landwirte fortan höhere Umweltauflagen verpflichtend einhalten. So muss etwa ein Teil der Fläche aus der Produktion genommen und der Natur zur Entfaltung zur Verfügung gestellt werden. (2) Dazu kommen wie bisher Agrarumwelt und Klimamaßnahmen (AUKM). (3) Als neues Instrument kommen nun die freiwilligen „Öko-Regelungen” (Eco-Schemes) hinzu.
„Ob die Grüne Architektur wirkungsvoll die biologische Vielfalt schützen und fördern kann, hängt sehr von den Details ab — also, wie viel Schlagkraft ihren Instrumenten beigemessen wird“, sagt Dr. Guy Pe’er, Wissenschaftler bei iDiv und UFZ. „Bei der Konditionalität ist beispielsweise entscheidend, wie hoch der Prozentsatz der nicht produktiven Fläche sein muss, worauf sich diese Zahl bezieht und welche Maßnahmen auf diesen Flächen erlaubt sind.” Pe’er ist Erstautor eines aktuellen Berichtes, in dem über 300 Wissenschaftler aus 22 EU-Mitgliedstaaten Empfehlungen zur spezifischen Ausgestaltung der aktuell vorgeschlagenen GAP geben. So geben sie etwa Hinweise, wie die entsprechenden Instrumente definiert, finanziell ausgestattet und aufeinander abgestimmt werden müssen, um effektiv zu sein.
Der Bericht entstand in Abstimmung mit der EU-Kommission und ist das Ergebnis von 13 Workshops und einer Online-Expertenbefragung. Er richtet sich vorrangig an politische Entscheidungsträger der EU-Mitgliedstaaten wie etwa Ministerialbeamte, die in der neuen GAP wesentlich größere Spielräume bei der Gestaltung von Umweltmaßnahmen haben werden, aber auch Mitarbeiter der EU selbst.
Beleuchtet wird vor allem das neue Instrument, die Öko-Regelungen. Diese sollen das sogenannte „Greening“ ablösen, das sich in der bisherigen GAP als weitgehend wirkungslos erwiesen hatte. Statt einen starren Maßnahmenkatalog der EU zu bekommen sollen die Mitgliedstaaten künftig selbst entscheiden dürfen, was sie fördern wollen. Die Öko-Regelungen sollen zudem freiwillig sein. Das heißt, die Landwirte können selbst entscheiden, ob sie weitere Maßnahmen umsetzen und dafür bezahlt werden oder nicht. Wie viel Einfluss die EU-Kommission bei der Umsetzung haben wird, ist Teil der aktuellen Verhandlungen.
Die Öko-Regelungen sollen einen Teil des Geldes aus der so genannten ersten Säule der kommenden GAP, die 70 % des Gesamtbudgets ausmacht, an zusätzliche Umweltmaßnahmen knüpfen. „Die Öko-Regelungen können zu einem sehr wirksamen Instrument werden”, sagt Guy Pe’er. „Je nachdem wie hier das Verhandlungsergebnis ausfällt, kann sich das Budget für diese Maßnahmen sogar verdoppeln. Das bringt allerdings nur etwas, wenn damit effektive Maßnahmen verknüpft sind.” Derzeit fordert das Europäische Parlament 30 % der ersten Säule für die Öko-Regelungen, der Ministerrat will sie auf 20 % begrenzen.
Welche Maßnahmen die Öko-Regelungen umfassen, ist noch offen. Eine Vorgabe der EU an die Mitgliedstaaten wird es nicht geben. „Es kommt nun also darauf an, ob und in welchem Maße die Staaten wirklich den Naturschutz fördern wollen“, sagt Co-Autor Prof. Sebastian Lakner von der Universität Rostock. „In den Mitgliedsländern werden aktuell Maßnahmen diskutiert, die aus Sicht der Workshop-Teilnehmer nicht immer sinnvoll sind: “Precision Farming” zum Beispiel erzielt zwar positive Umwelteffekte, ist aber de facto Technologieförderung für große Agrarbetriebe, die diese Technologie eigentlich aus wirtschaftlichem Eigeninteresse einsetzen. Das Beispiel zeigt, dass es dringend notwendig ist, knappe GAP-Mittel auf effektive und förderwürdige Maßnahmen zu konzentrieren.”
Die Forscher betonen, es sei wichtig, dass sich die Instrumente gegenseitig ergänzten. Sie empfehlen:
● an die GAP-Förderung hohe Grundanforderungen (durch Konditionalität) zu stellen, etwa mindestens 5 % der landwirtschaftlichen Betriebsflächen aus der Bewirtschaftung zu nehmen und dem Naturschutz zur Verfügung zu stellen
● ein Rückschrittsverbot, also keine Verschlechterung des ökologischen Zustandes von Lebensräumen wie etwa Grünland zuzulassen
● Agrarumweltprogrammen als nachweislich effektivste Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität eine hohe Priorität bei der Budgetierung agrarumweltpolitischer Förderinstrumente der GAP einzuräumen
● als Öko-Regelungen nur Maßnahmen zu fördern, die sich nachweislich als wirksam erwiesen haben, und solche auszuschließen, die von den Landwirten ohnehin umgesetzt werden
● ein Punktesystem, um den Nutzen und Wirksamkeit von Maßnahmen zu vergüten
● eine großräumige Planung der Maßnahmen und die Zusammenarbeit der Landwirte zu fördern, da Pflanzen und Tiere sich nicht an die Grenzen einzelner Betriebe halte.
Was diese Punkte konkret für die einzelnen Mitgliedstaaten bedeuten, ist sehr unterschiedlich. „In unserem Bericht geben Experten aus den verschiedensten EU-Staaten konkrete und erprobte Empfehlungen, wie die Gemeinsame Agrarpolitik von allen Beteiligten nachhaltig und effizient gestaltet werden kann“, meint Co-Autorin Maren Birkenstock, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen Institut für Ländliche Räume. „Es wäre wünschenswert, wenn dieses Wissen genutzt und die GAP auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen entwickelt würde.” „Unsere Botschaft ist: Eine Trendwende im Agrarland hin zu einem wirksamen Biodiversitätsschutz ist machbar. Allerdings nur, wenn diese Aspekte berücksichtigt werden“, meint Guy Pe’er. „Sonst wird die GAP nur den bisherigen Abwärtstrend der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften begleiten, der nicht nur unerwünscht ist, sondern konkret die landwirtschaftliche Produktion gefährdet.”