Wie Deutschland und Kanada den Kohleausstieg demokratisch zu legitimieren versuchen

Kohleinfrastruktur: Der Kohlehafen und das Kohlekraftwerk in Mehrum, Von Crux - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=593182

Der Kohleausstieg ist für einen wirksamen Klimaschutz unerlässlich, löst aber in den betroffenen Regionen Ängste und Widerstände aus. Um den damit einhergehenden Strukturwandel erfolgreich zu gestalten, haben Kanada und Deutschland verschiedene Interessengruppen eingebunden. In einer neuen Studie vergleichen IASS-Forscher zwei Stakeholder-Kommissionen auf der Grundlage von Experteninterviews mit ihren Mitgliedern und zeichnen nach, wie die Regierungen mithilfe von Kommissionen ihre Ausstiegsspolitik legitimieren.

In der Studie identifizieren die Wissenschaftler Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Kontextbedingungen des Kohleausstiegs. So spielt die Stromerzeugung aus Kohle in Deutschland eine wesentlich größere Rolle als in Kanada. Dennoch gibt es in den beiden Ländern viele Gemeinsamkeiten. So ist der Kohlesektor zum Großteil in ländlichen, wirtschaftlich benachteiligten Regionen konzentriert.

Die Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen erschwert Bestrebungen, einen früheren Ausstieg zu erreichen. Auch das föderale System beider Staaten ist für eine rasche Energiewende nicht immer förderlich: Die kanadischen Provinzen und die deutschen Bundesländer können nationale Ambitionen erheblich bremsen.

Einen Fahrplan für den Kohleausstieg zu erarbeiten, war also keine leichte Aufgabe. „Die Nationalregierungen in Kanada und Deutschland haben versucht, ihre Entscheidungen zu legitimieren, indem sie wichtige Akteure und potenzielle Veto-Spieler strategisch eingebunden haben. Dies war ein Versuch, ein Gleichgewicht der verschiedenen Interessen zu finden“, sagt Leitautor Konrad Gürtler.

Die kanadische Regierung setzte eine Just Transition Task Force mit einem eher begrenzten Mandat ein, das sich auf einen lokalen gerechten Übergang für Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Gemeinden konzentrierte. Die deutsche Kohlekommission hingegen musste komplexe Erwartungen bezüglich des Kohleausstiegsdatums und -pfads, der Auswirkungen auf die Energiewende und des lokalen Strukturwandels navigieren.

In beiden Fällen seien die Versuche, Legitimität herzustellen, als ein zweistufiger Prozess verlaufen, erläutert Gürtler: „Die Regierungen banden Stakeholder ein und diese Stakeholder mussten wiederum Erwartungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen erfüllen. Dabei wurden ganz verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit ausgehandelt: Klimagerechtigkeit, gerechter Strukturwandel, Energiegerechtigkeit.“ Die kanadische Task Force ermittelte und vertrat vor allem die Bedürfnisse der Betroffenen in den Kohleregionen, während in der deutschen Kohlekommission eine Vielzahl von organisierten Akteuren – von Industrieverbänden über Gewerkschaften bis hin zu Wissenschaftlern und Umweltschutzorganisationen – ihre Anliegen einbrachte.

Die kanadische Task Force legte Anfang 2019 ein Handlungsprogramm für die Regierung vor, das die Regierung im Rahmen eines „Just Transition Act“ umsetzen will. Allerdings wurde dieses Gesetz noch nicht verabschiedet. Die Kohlekommission verhandelte einen Minimalkompromiss, der von der Bundesregierung nur teilweise umgesetzt wurde. Mittlerweile wird die Umsetzung des Kompromisses auch von ehemaligen Mitgliedern der Kommission in Frage gestellt und könnte zudem von neuen Entwicklungen, etwa dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz, überholt werden.