Überall, wo Oberflächen umströmt werden, geht Energie verloren. Dieser Verlust steigt enorm an, sobald die Umströmung turbulent wird. In der Strömungsmechanik wird daran geforscht, den Übergang von einer gleichmäßigen in eine turbulente Strömung hinauszuzögern. Dies lässt sich zum Beispiel durch ein wortwörtliches Absaugen der Strömung an Oberflächen wie Tragflächen oder Windrädern erreichen. Die mathematische Darstellung dieser Vorgänge ist nun erstmals gelungen. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Zeitschrift „Physics of Fluids“ des American Institute of Physics (AIP) veröffentlicht und stellen einen wichtigen theoretischen Beitrag für die Energiewende dar.
Was zunächst nur nach einer rein physikalischen Beobachtung klingt, hat gravierende Auswirkungen auf die Energieeffizienz vieler technischer Systeme. Turbulente, also ungleichmäßige verwirbelte Strömungen, an Oberflächen von Autos, Flugzeugen und anderen Transportmitteln haben einen erhöhten Spritverbrauch (oder Stromverbrauch bei Elektroautos) zur Folge und führen somit zu mehr Emissionen. Windkraftanlagen produzieren weniger Strom, da Turbulenzen an den Windradschaufeln die Bewegungsenergie des Windes verringern.
Und genau diese Bewegungsenergie soll schließlich in elektrischen Strom umgewandelt werden. Eine wesentliche Herausforderung für Forschende im Bereich der Strömungsmechanik ist es, das Auftreten von Turbulenzen soweit wie möglich zu verhindern. Gelingt dies, könnten große Mengen an Treibstoffen eingespart werden sowie Windkraftanlagen deutlich mehr Strom produzieren. Damit ließe sich wesentlich zur Energiewende beitragen.
„In unserer Forschungsarbeit beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die strukturelle Modifikation von umströmten Oberflächen dazu führen kann, dass die Strömung länger laminar, also glatt und unverwirbelt, bleibt und erst bei deutlich höheren Geschwindigkeiten turbulent wird“, sagt Alparslan Yalcin, Doktorand am Fachgebiet für Strömungsdynamik (FDY) im Fachbereich Maschinenbau. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass in der Theorie durch die sogenannte „Grenzschichtabsaugung“, also die Absaugung der Strömung an Oberflächen, das Auftreten von Turbulenzen erst bei vielfach höheren Strömungsgeschwindigkeiten auftritt.
Dies hat zur Folge, dass technische Systeme selbst bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten geringe Energieverluste vorzuweisen haben. Die Forschungsergebnisse lassen hoffen, dass die Grenzschichtabsaugung bald auch serienmäßig Anwendung bei Windkraftanlagen und Flugzeugen findet. Dem Team um Yalcin gelang es erstmals, die zugrundeliegenden Gleichungen eingehend analytisch zu untersuchen. Grundlage der Analyse stellen die Navier-Stokes-Gleichungen dar, die nicht nur die meisten Strömungsphänomene in der Natur und in der Technik physikalisch beschreiben, sondern als eines der weltberühmten sieben „Millennium-Probleme“ der Mathematik berüchtigt sind für ihre Komplexität.
Im Kontext der linearen Stabilitätstheorie, in dem die wissenschaftliche Arbeit von Yalcin angesiedelt ist, lassen sich die Navier-Stokes-Gleichungen derart vereinfachen, dass sich für gewisse Strömungsprobleme Lösungen herleiten lassen – so auch für abgesaugte Grenzschichtströmungen. Die entstehenden Lösungen beschreiben nun das zeitliche Verhalten von Störungen in der Oberflächenströmung. Durch die Analyse des Forscherteams lässt sich zum ersten Mal sehr präzise vorhersagen, ab welchen Strömungsgeschwindigkeiten solche Störungen im System instabil werden und in der Folge zeitlich anwachsen – also die Strömung turbulent umschlägt.
Mithilfe einer weiteren mathematischen Technik – der „asymptotischen Analyse“ – ist eine andere wichtige Frage der Turbulenzforschung adressiert worden, nämlich, dass ein Zusammenhang zwischen der Strömungsgeschwindigkeit und den Längenskalen großer turbulenter Strukturen besteht. Dieses Phänomen wurde zuvor lediglich in Computersimulationen sowie Experimenten beobachtet und konnte nun ebenfalls erstmals in der Theorie nachgewiesen werden. „Das Verständnis solcher turbulenten Strukturen trägt dazu bei, technische Prozesse effizienter zu gestalten und Naturphänomene, wie zum Beispiel das globale Wetter, besser zu verstehen“, erklärt Fachgebietsleiter Professor Martin Oberlack.