„Ohne Industrie werden wir die Herausforderungen des Klimawandels nicht bewältigen können“

@IN4climate.NRW

Samir Khayat ist seit Oktober 2019 Geschäftsführer der IN4climate.NRW GmbH, die als Geschäftsstelle die Landesinitiative IN4climate.NRW für eine klimaneutrale Industrie organisiert. Zuvor betreute er als Referatsleiter im NRW-Wirtschaftsministerium die Bereiche „Energiesysteme der Zukunft und Klimaschutz in der Industrie“. In seiner Tätigkeit beim Umweltministerium NRW hat er den Klimaschutzplan NRW als Projektplaner begleitet und war mit den Themen Energie- und Ressourceneffizienz in der Industrie sowie Vollzug der Ökodesign-Richtlinie befasst. Als studierter Umwelttechniker war er in den ersten Jahren als Consultant in einer Beratungsgesellschaft tätig und arbeitete später als Dezernent bei der Bezirksregierung Münster im Bereich Technischer Umweltschutz für Industrieanlagen.


 

Was verbirgt sich hinter dem Begriff IN4climate.NRW?

IN4climate.NRW ist eine Initiative der nordrheinwestfälischen Landesregierung und dient als zentrale Plattform für die Umsetzung einer klimaneutralen Industrie in NRW. Wir bringen Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft und Politik zusammen, um innovative Strategien und Lösungen für klimaneutrale industrielle Prozesse und Produkte zu entwickeln. Mit unserem Team versuchen wir, wichtige Forschungsbedarfe zu definieren. Und gleichzeitig begleiten wir technische Projekte zur Erprobung klimaneutraler Produktionsverfahren. Unser Ziel ist es, sowohl den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren als auch gleichzeitig eine gezielte Entwicklung einer klimaneutralen und zukunftsfähigen Industrie zu unterstützen. Wir wollen so die Wettbewerbsfähigkeit der nordrheinwestfälischen Industrie ausbauen und den Industriestandort sichern.

Hat das Industrieland NRW Angst vor ein klimaschutzbedingten Deindustrialisierung?

Angst ist nicht das richtige Wort. Aber eines ist ganz klar: IN4climate.NRW ist ein deutlicher Gegenentwurf zur Idee, die die Deindustrialisierung als Mittel des Klimaschutzes sieht. Zumal das Runterfahren unseres Standortes allemal der falsche Weg ist. Wenn nicht in NRW produziert wird, geschieht dies anderswo unter vielleicht viel schlechteren Bedingungen für die Menschen und die Umwelt. Dazu kommt, dass wir durch die Verlagerung der Produktion ins Ausland von Staaten abhängig werden, die nicht unbedingt demokratischen Werten verpflichtet sind.

Stehen die Unternehmen in NRW eigentlich auf der Klimabremse?

Nein. Viele Unternehmen entwickeln schon seit längerer Zeit Strategien und Lösungen zur Erreichung der Klimaneutralität und haben sich eigene Klimaziele auferlegt. Doch noch gibt es viele Herausforderungen und Hindernisse, die überwunden werden müssen. Daher haben sich viele namhafte Unternehmen der energieintensiven Grundstoffindustrie schon 2018 mit Überzeugung unserer Initiative angeschlossen – und es kommen immer noch weitere hinzu. Denn sie wollen in Kooperation mit Politik und Wissenschaft auf dieses gemeinsame Ziel der Klimaneutralität zusteuern. Und das möglichst schnell, denn in den nächsten Jahren kommen wesentliche Investitionszyklen auf die Industrie zu. Wenn wir hier keine klare klimaneutrale Ausrichtung dieser Investitionen haben, könnte es sein, dass sie gar nicht getätigt werden, was dem Standort nicht guttun würden. Wogegen wir in NRW sicher besonders ankämpfen müssen, ist das Image, das wir in der Vergangenheit wegen unserer Schwerindustrie hatten. Unsere Industrie wurde meist als Ursache der Umweltprobleme gesehen, aber nicht als ein Teil der Lösung. Ohne Industrie werden wir die Herausforderungen des Klimawandels aber nicht bewältigen können.

Der Aufbau einer klimaneutralen wettbewerbsfähigen Industrie ist zweifellos eine gewaltige Aufgabe, besonders im industriellen Traditionsland Nordrhein-Westfalen. Wie kann eine solche Transformation gelingen?

Klare Antwort: durch Kooperation und Innovation. Zunächst einmal lässt sich sagen: Ohne die energieintensive Industrie ist das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität nicht zu erreichen. Ihr Anteil an den Treibhausgasemissionen liegt in NRW derzeit bei rund 23 Prozent. Gleichzeitig sind klimafreundliche Technologie- und Prozessinnovationen aus der Industrie entscheidend, um auch in anderen Bereichen, wie Verkehr, Energie und Bau den Klimaschutz voranzutreiben. So bietet die Energiewende den Industrieunternehmen auch die Chance, zum Innovationsmotor zu werden. Wie schon gesagt: Viele maßgebliche Industrieunternehmen sind schon seit geraumer Zeit auf diesen Pfad eingeschwenkt. Doch um die Transformation voranzutreiben, brauchen sie die Unterstützung der Wissenschaft bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien und die nötigen Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen der Politik. Und genau daran arbeiten alle Akteure zusammen bei IN4climate.NRW.

 

Das könnte die Zukunft sein, aber heute haben wir ja noch eine ernstzunehmende CO2 Belastung.

Stimmt und darum ist der Aufbau einer CO2-Kreislaufwirtschaft wichtig. Das Kohlenstoffdioxid (CO2), das in der Produktion entsteht, kann beispielsweise als Kühlmittel oder als Rohstoff für andere Prozesse eingesetzt werden. Darüber hinaus soll chemisches Recycling von Kunststoffen dazu beitragen, Kohlenstoffkreisläufe weitgehend zu schließen. Wir gehen davon aus, dass so bis zu zwei Millionen Tonnen Kunststoffabfall jährlich wiederverwendet werden könnten.

Wasserstoff ist zurzeit eine Art Zauberwort in der Klimadebatte. Oft bleibt es aber bei Worten, Was will NRW da anders machen?

Nordrhein-Westfalen ist durch seine zentrale Lage in Europa und dank seiner Potenziale in Industrie und Forschung die ideale Modellregion und Ausgangspunkt in Deutschland und Europa für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Deshalb will das Land in Sachen Wasserstoffwirtschaft rasch vorankommen, damit die Umwelt schonen und damit gleichzeitig bis zu neue 130.000 Arbeitsplätze schaffen. Begonnen werden soll in einer Modellregion im Düsseldorfer Umfeld aus Rhein und Wupper. Bis zum Jahr 2025 sollen dort erste Großanlagen im Land in Betrieb gehen. Darüber hinaus werden wir in NRW die ersten gut 100 Kilometer eines Pipeline-Netzes installiert haben und es werden 400 Brennstoffzellen-Lkw auf nordrhein-westfälischen Straßen unterwegs sein. Eines ist klar: Wasserstoff wird in der Industrie neben der Elektrifizierung sicher der wichtigste Energieträger werden.