Hitze-Stress durch den Klimawandel

Manchmal hilft nur der Rettungswagen ins Krankenhaus: Ein Viertel der rund 18 Millionen Menschen im Alter 65 plus sind „vulnerabel“ gegenüber Hitze. | Foto: Shutterstock/StGrafix

Heiße Tage machen vielen Älteren in Deutschland zu schaffen, manchmal hilft nur noch der Rettungswagen ins Krankenhaus. Wie oft das jeweils vor Ort passiert, hängt stark von der Zusammensetzung der Bevölkerung und von der Infrastruktur ab. Und der Leidensdruck könnte sich bis zum Jahr 2100 versechsfachten, je nach Klimapolitik. Das ist der Befund einer Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). Sie basiert unter anderem auf anonymisierten Abrechnungsdaten der AOK, bei der etwa jeder Dritte krankenversichert ist.

Die Studie ist publiziert im Versorgungs-Report „Klima und Gesundheit“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Demnach sind ein Viertel der rund 18 Millionen Menschen im Alter 65 plus „vulnerabel“: Hitze macht ihnen zu schaffen und erhöht nennenswert die Wahrscheinlichkeit einer Klinik-Einweisung. Ausgangspunkt der statistischen Analyse ist eine enge Abgrenzung von Hitze-Stress: Wie viele Menschen in dieser Altersgruppe müssen, wenn das Thermometer vor Ort auf 30 oder mehr Grad steigt, noch am gleichen Tag wegen entsprechender Beschwerden ins Krankenhaus? Schon mit dieser restriktiven Abgrenzung gibt es 40 weitere Hospitalisierungen je Million Älterer – zusätzlich zum normalen Tagesschnitt von 1350.

Dass Einweisungen auch zeitversetzt erfolgen und sich bei anhaltenden Hitzeperioden der Effekt deutlich verstärkt, haben wir bewusst ausgeblendet“, erklärt Hannah Klauber, Doktorandin am MCC und Leitautorin der Studie. „Der Fokus auf diesen Ausschnitt der Hitzeschäden ermöglicht die klare Aufteilung in Behandlungs- und Kontrollgruppe: So konnten wir mit Methoden des maschinellen Lernens erstmals die Einflussfaktoren und regionalen Unterschiede beim Hitze-Stress hochaufgelöst vermessen, für alle 8000 Postleitzahlen-Gebiete.“

Die am stärksten gefährdeten Personen sind im Durchschnitt älter, kränker und häufiger männlich. Besonders betroffen sind Leute mit Demenz und Alzheimer, Niereninsuffizenz, Depressionen und anderen psychischen Auffälligkeiten, Diabetes sowie chronischen Atemwegserkrankungen. Wo mehr Pflegebedürftige in Heimen und durch Pflegedienste betreut werden, gibt es weniger hitzebedingte Klinik-Einweisungen als in Gegenden ohne professionelle Betreuung: möglicherweise, weil es hilft, Hitze-Stress zu verhindern. In der Stadt gibt es derzeit statistisch gesehen weniger Probleme als auf dem Land: Das könnte etwa an besserer medizinischer Infrastruktur, der häufigeren Nutzung von Warnsystemen sowie Aktionsplänen liegen. Auch Gebiete mit wenig Altersarmut stehen relativ besser da.

Um abzuschätzen, inwieweit sich die Situation künftig verändert, kombinierte das Forschungsteam diese Zusammenhänge mit zwei Szenarien des Weltklimarats IPCC für das Jahr 2100: dem Bestfall-Szenario „SSP1/RCP2.6“ (strikte Klimapolitik, Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2 Grad) und dem Schlimmstfall-Szenario „SSP5/RCP 8.5“ (keine weiteren Maßnahmen, der Planet ist rund 5 Grad wärmer als vor Beginn der Industrialisierung).

Im ersten Fall schlägt der globale Klimawandel so wenig auf die Zahl der Hitzetage in Deutschland durch, dass die Lage für Ältere in etwa so bleibt. Im zweiten Fall nimmt der Hitze-Stress spürbar zu und besonders stark in Gebieten mit vielen vulnerablen Personen – sodass es im Jahr 2100 sechsmal so viele hitzebedingte Klinik-Einweisungen gibt wie im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2018. „Wir werfen hier ein Schlaglicht auf die für jeden Menschen spürbaren Folgen einer ungebremsten Erderhitzung“, sagt Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC. „Solche Aspekte mit empirischen Daten und solider statistischer Analyse auszuleuchten, kann auch helfen, die Akzeptanz für Klimapolitik zu stärken.“