In den letzten 35 Jahres hat sich bei der Verteilung der Libellenarten in Deutschland viel getan. So wurden Rückgänge vor allem bei Arten an stehenden Gewässern verzeichnet. Zuwächse gab es hingegen bei Libellen, die an Fließgewässern leben und wärmere Temperaturen bevorzugen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Bürgerwissenschaften und Naturkundegesellschaften für die Datenerhebung sowie von Naturschutzmaßnahmen zur Verbesserung der Biodiversität.
Deutschland ist das Land mit den meisten Libellenarten in Europa, was vor allem an der Vielfalt von Lebensräumen und Klimata hierzulande liegt. Während viele aktuelle und vor allem lokal angelegte Studien auf einen langfristigen Rückgang der Insektenpopulationen in verschiedenen Teilen Europas hinweisen, zeigen Untersuchungen der Frischwasserinsekten – einschließlich der Libellen – bei einigen Arten einen gegensätzlichen Trend. Forschende von iDiv, FSU und UFZ haben nun eine landesweite Untersuchung des Vorkommens und der Verbreitung von Libellen in Deutschland vorgestellt, die sich auf den Zeitraum von 1980 bis 2016 bezieht. Dafür analysierten sie über eine Million Dateneinträge zum Vorkommen von 77 Arten aus verschiedenen regionalen Datenbanken. Die meisten Daten wurden von ehrenamtlichen Bürgerwissenschaftlern gesammelt und von der Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen (GdO) zusammengeführt.
Verlust von Lebensraum gefährdet Arten an stehenden Gewässern
Die Wissenschaftler stellten sowohl Zu- als auch Abnahmen fest. Besorgt zeigen sie sich über den Rückgang bei Arten, die an stehenden Gewässern leben. Abnahmen wurden bei 29 % aller Libellenarten festgestellt. Besonders betroffen sind dabei die Arten, die kühlere Temperaturen und stehende Gewässer wie Sümpfe und Moore bevorzugen. Viele dieser Arten sind bereits gefährdet. Sie sind auf kleine oder flache Gewässer angewiesen, die durch Trockenheit und niedrige Grundwasserspiegel immer seltener werden. „Diese Arten leiden sehr unter dem Rückgang ihres Lebensraumes. Hier sehen wir noch immer große Herausforderungen für den Schutz und Erhalt dieser Habitate“, sagt Erstautorin Dr. Diana Bowler von iDiv, FSU und UFZ.
Die Studie legt nahe, dass vor allem Libellenarten, die an kühlere Temperaturen und stehende Gewässer angepasst sind, durch weitere Umweltveränderungen einschließlich den Klimawandeln besonders gefährdet sind.
Wärmeliebende und Fließgewässer-Arten auf dem Vormarsch
Die Ergebnisse der Studie zeigen Zuwächse beim Vorkommen von 45 % aller Libellenarten, größtenteils handelt es sich dabei um wärmeliebende Arten. „Bislang seltene Arten wie die Feuerlibelle und das Kleine Granatauge sind mittlerweile in Deutschland viel häufiger geworden“, meint Diana Bowler. „Diese Arten bevorzugen wärmere Temperaturen, ihre Zuwächse in Deutschland liegen also höchstwahrscheinlich am langfristigen Klimawandel.“
Unter den Gewinnern sind auch Arten an Fließgewässern, was auf erste Erfolge entsprechender Schutzmaßnahmen hindeutet, die durch besseres Umweltmanagement erzielt wurden. „Die Zuwächse bei diesen Arten zeigen eine Erholung von den Auswirkungen früherer Wasserverschmutzung und der fast vollständigen Zerstörung natürlicher Flussauen“, sagt Klaus-Jürgen Conze, Vorsitzender der GdO. In Deutschland wurden erste Projekte zur Verbesserung der Frischwasserqualität und zum Schutz von Fließgewässern bereits in den 1990ern ins Leben gerufen. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie wurde im Jahr 2000 verabschiedet.
Wertvoller Beitrag durch Ehrenamtliche
Ein Großteil der Daten wurde von ehrenamtlichen Bürgerwissenschaftlern und Naturkundegesellschaften wie der GdO zusammengetragen. „Unsere Studie unterstreicht den großen Beitrag, den dieses Engagement und die Fachexpertise dabei leisten, das Vorkommen von Arten zu untersuchen. Unsere Ergebnisse deuten auf einen stärkeren Rückgang in den letzten zehn Jahren hin, was deutlich macht, wie wichtig die Unterstützung durch Fachgesellschaften und Bürgerwissenschaften auch in der Zukunft sein wird“, sagt Letztautorin Prof. Aletta Bonn von UFZ, FSU und iDiv.