Den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2021 erhält die britische Chemikerin Clare Grey. Grey leistete Pionierarbeit bei der Optimierung von Batterien mit Hilfe der NMR-Spektroskopie. Diese Methode ermöglicht nicht-invasive Einblicke in das Innenleben von Batterien – und ähnelt der Kernspin-Tomographie, mit der Ärzte Patienten »durchleuchten«. Ihre NMR-Untersuchungen halfen, die Leistung von Lithium-Ionen-Akkus, die etwa Handys, Notebooks oder E-Fahrzeuge mit Strom versorgen, deutlich zu steigern.
Weiterhin war sie maßgeblich an der Entwicklung neuartiger Batterietypen beteiligt – darunter Lithium-Luft-Akkus, die eine zehnfach erhöhte Energiedichte aufweisen oder Batterien, die sehr schnell aufladen und besonders betriebssicher sind. Zudem forscht Grey an kostengünstigen und langlebigen Speichersystemen für Strom aus regenerativen Quellen. Die Britin sieht ihre Grundlagenforschung als wichtigen Beitrag, um das von der Europäische Union erklärte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Die ersten Handys erinnerten vom Volumen und Gewicht her an Ziegelsteine. Wirklich handlich wurden sie erst Anfang der 1990er Jahre durch die leistungsfähigen Lithium-Ionen-Akkus. Diese Batterie-Typen wurden eigentlich für Video-Kameras entwickelt, um sie leichter auf der Schulter zu tragen. Kaum einer der damaligen Ingenieure indes hatte geahnt, mit den Lithium-Ionen-Akkus das Tor für künftige tragbare und internetfähige Kommunikationsgeräte aufzustoßen, geschweige denn zur heutigen Ära der Elektromobilität.
»Seit 1991 gab es bei den Lithium-Ionen-Akkus deutliche Fortschritte«, erklärt Clare Grey. »Ihre Energiedichte hat sich seitdem verdreifacht. Das heißt ihr Gewicht hat sich bei gleichem elektrischem Speichervermögen gedrittelt. Zudem sind die Preise um 90 Prozent gefallen«. Zu dieser Entwicklung hat die britische Chemikerin entscheidend beigetragen. Grey ist eine Pionierin bei Untersuchungen von Festkörpern mit Hilfe der NMR-Spektroskopie. Dabei werden Resonanzen von Atomkernen genutzt, um neuartige Einblicke in Materialien wie Batterien zu gewinnen. Mit Hilfe der NMR-Technologie konnte Grey die elektrochemischen Vorgänge beim Laden und Entladen von Akkus im laufenden Betrieb untersuchen und die Bewegung der Lithium-Ionen in den Batteriematerialen verfolgen.
Clare Grey, 56, studierte Chemie an der britischen Oxford University. Bereits im Alter von 22 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Fachartikel im renommierten Wissenschaftsmagazin »Nature«. Nach ihrer Promotion im Jahr 1991 ging sie an die Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen. 1992/93 arbeitete Grey als Gastwissenschaftlerin beim US-Chemiekonzern Dupont. Ab 1994 war sie als Assistant Professor an der State University of New York at Stony Brook tätig, wo sie 2001 eine volle Professur erhielt. 2009 wurde sie Geoffrey Moorhouse Gibson Professorin an der britischen University of Cambridge. Seit 2011 ist sie zudem Fellow der Royal Society.
Schon als Undergraduate-Studentin hatte sich Grey mit NMR-Spektroskopie befasst und damit Metalle wie Zinn untersucht. Das war damals Neuland, denn klassisch untersuchen Physiker und Chemiker die Struktur von Festkörpern meist, indem sie diese mit Röntgenstrahlen beschießen. Die Beugung der Röntgenstrahlen verrät den inneren Aufbau der Proben. Mit dieser Methode konnten die späteren Nobelpreisträger James Watson und Francis Crick 1953 die Doppelhelix-Struktur des Erbmoleküls DNA nachweisen. Eine besonders leistungsfähige Alternative dazu ist die NMR-Spektroskopie. Das Kürzel NMR steht für »nuclear magnetic resonance« – zu Deutsch: Kernspinresonanz.
NMR funktioniert am einfachsten mit flüssigen Proben, in denen sich die Moleküle sehr schnell bewegen, was Wechselwirkungen zwischen ihnen wegmittelt. Grey hingegen untersuchte – als eine der ersten ihrer Zunft – mit NMR auch Festkörper wie Metalle. In ihrer Zeit in den USA lernte sie Forscher der Firma Duracell kennen, die sie inspirierten, mit NMR-Technik Materialien in Batterien zu studieren. »Die zuvor üblichen Untersuchungen mit Röntgenstrahlen lieferten nur ein durchschnittliches Bild«, sagt Grey. »Mit Hilfe von NMR konnte ich nun auch die feinen Details in diesen oft unstrukturierten Materialien aufspüren.«
Anfangs untersuchte sie einzelne Inhaltsstoffe, indem sie die Batterien in einem bestimmten Stadium ihres Lade- und Lebenszyklus öffnete. Ziel war unter anderem herauszufinden, welche chemischen Prozesse die Batterien altern lassen und wie sich deren Lebensdauer und Kapazität erhöhen lässt. Später verbesserte Grey die NMR-Technologie so, dass sie damit auch Zellen im laufenden Betrieb zerstörungsfrei untersuchen konnte – in sogenannten »in-situ«-Experimenten. Diese halfen, auch kurzlebige Substanzen aufzuspüren und die Studien enorm zu beschleunigen.
Weiterhin forscht Grey an Akkus der kommenden »beyond Lithium«-Ära, die statt Lithium das umweltfreundlichere Natrium enthalten. Solche Batterien sind jedoch schwerer und eignen sich eher als kostengünstige Zwischenspeicher für Wind- oder Solar-Strom. Das gleiche gilt für neuartige Redox-Fluss-Batterien, die elektrische Energie in zwei separaten Tanks mit Chemikalien speichern. Auch die Vorgänge in solchen Flüssigkeitsbatterien konnte Grey mittels NMR-Studien »live« verfolgen und dabei unter anderem den Ursachen für Alterungsprozesse auf den Grund gehen. Sie arbeitet daran, die NMR-Methode künftig weiter zu optimieren und damit noch leistungsfähigere, schneller ladende und umweltfreundlichere Akkus zu konzipieren.
2019 war Grey an der Gründung einer Firma für ultra-schnell ladende Batterien beteiligt, die in ihren Labors entwickelte Technologien verwendet. Eine andere Firma liefert die von ihr konzipierte NMR-Messtechnik an Labors in aller Welt. Zum Erreichen der Klimaziele ist es Grey sehr wichtig, dass »die Grundlagenforschung an neuen Batterie-Technologien bereits
heute voll in Angriff genommen wird – morgen ist es zu spät«.