Aktuelle Naturschutzpraktiken im Agrarland mögen für oberirdisch lebende Arten wie Vögel und Bienen gut sein, aber das Leben unter der Erde hat wahrscheinlich nur wenig davon, schreiben Forschende des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt im Fachjournal „Nature Communications“. Sie berichten, dass die biologische Vielfalt im Boden landwirtschaftlich genutzter Wiesen und Weiden am höchsten ist, wenn diese von viel Wald mit altem Baumbestand umgeben sind. Hingegen haben extensive Landnutzung und eine vielfältige Nahumgebung – beides Hauptpfeiler der Maßnahmen zur Förderung der Agrobiodiversität – nur wenig Einfluss auf die Vielfalt unterirdisch lebender Organismen.
Die biologische Vielfalt auf Wiesen und Weiden ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, wie zahlreiche Studien zeigen. Maßnahmen, die diesen Verlust aufhalten sollen, konzentrieren sich bislang meist auf die Arten, die oberirdisch leben, wie beispielsweise Vögel und Bienen. Doch auch im Boden von Wiesen und Weiden wimmelt es vor Leben. Diese Organismen sind mindestens so vielfältig wie die oberirdisch lebende Fauna und immens wichtig für die Bodenfruchtbarkeit, die Kohlenstoffspeicherung und eine Reihe anderer Ökosystemleistungen. Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt und des Thünen-Instituts zeigen in einer neuen Studie, dass unter- und oberirdische biologische Vielfalt unterschiedlichen Einflüssen unterliegen. Die gegenwärtigen Naturschutzmaßnahmen kommen daher dem Leben unter der Erde wahrscheinlich kaum zugute.
Die Wissenschaftler ermittelten, wie artenreich 150 Parzellen auf Wiesen und Weiden sowohl ober- als auch unterirdisch sind und welche Rolle intensive Landnutzung dabei spielt. Die Untersuchungsflächen befinden sich in der Schorfheide-Chorin, auf der Schwäbischen Alb und im Nationalpark Hainich. Sie sind Teil der Biodiversitäts-Exploratorien, einem deutschlandweitem Verbundprojekt, in dem Forschende seit 2006 den Zusammenhang zwischen biologischer Vielfalt und Landnutzung untersuchen und daher in herausragenden Detailtiefe aufzeigen können, wie Ökosysteme auf intensivierte Landnutzung reagieren.
„Wir haben Daten zur Artenvielfalt entlang der gesamten Nahrungskette in Beziehung dazu gesetzt, wie intensiv die Parzellen landwirtschaftlich genutzt werden, wie viel also gedüngt oder wie oft gemäht wird. Darüber hinaus haben wir uns angeschaut, wie die Landschaft in einem zwei-Kilometer-Radius rund um die Parzellen aussieht. Zum Beispiel haben wir untersucht, wie lange Wälder und natürliche Graslandschaften in dieser Umgebung schon bestehen, da das Roden von Wäldern und Umbrechen von Grasland, um Platz für Ackerbau zu schaffen, eine intensivere Landnutzung darstellt“, skizziert Dr. Gaëtane Le Provost, Postdoktorandin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, die Studie.
Den Ergebnissen zufolge hängt die Artenvielfalt der meisten Bodenorganismen, beispielsweise Bakterien und Pilze, auf den Wiesen- und Weideparzellen nicht davon ab, was auf der Fläche selbst passiert, sondern wie die weitere Umgebung beschaffen ist.
„Die Artenvielfalt im Boden der Parzellen ist umso höher, je mehr Waldflächen es in bis zu zwei Kilometern Entfernung gibt. Außerdem ist die Artenvielfalt im Boden der Parzellen höher, je länger der Wald in der weiteren Umgebung schon besteht“, erklärt Dr. Peter Manning, leitender Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. „Die Wälder bieten einen stabilen Lebensraum für Bodenorganismen und scheinen deshalb ein Zufluchtsort zu sein. Von dort ausgehend können Tiere und Pilze den Boden von Wiesen und Weiden – beispielsweise nach deren Umpflügen – wieder besiedeln können.“
Wie intensiv die Parzellen gedüngt, beweidet oder gemäht werden, hat nur geringen Einfluss auf den Artenreichtum im Boden der Parzellen. Erstaunlicherweise profitieren einige Gruppen von Bodentieren, wie Pilze und Amöben, sogar von intensiver Landnutzung. „Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was wir bei Pflanzen, Vögeln, Insekten, Weichtieren, Käfern und anderen Organismen sehen, die in den Wiesen und Weiden leben. Je intensiver die Fläche genutzt wird, desto weniger dieser Arten fanden wir auf den Parzellen“, so Le Provost. Zusätzlich war die oberirdische Artenvielfalt geringer, wenn das nahe Umfeld, wie es oft in intensiv genutzten Agrarlandschaften der Fall ist, homogen anstelle von vielfältig war.
Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass aktuelle Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Agrarland wie ein geringerer Einsatz von Düngemitteln und das Anpflanzen von Blühstreifen vor allem der oberirdischen Artenvielfalt zugutekommen. „Wie unsere Studie zeigt, nützen diese Maßnahmen der biologischen Vielfalt im Boden von Wiesen und Weiden vermutlich wenig, da sie nicht primär von diesen Faktoren abhängt. Sie würde mehr davon profitieren, wenn es in der weiteren Umgebung langfristig Wälder und Grasflächen gäbe“, kommentiert Manning. Er fährt fort: „Wenn wir sicherstellen wollen, dass Agrarlandschaften auch in Zukunft so produktiv wie heute sind, müssen wir die ober- und die unterirdische Vielfalt fördern und schützen. Die gegenwärtigen biodiversitätsfördernden Bewirtschaftungsstrategien für Agrarlandschaften sollten daher überarbeitet werden.“