„Fit für 55“: Unter diesem Titel wird die EU-Kommission am 14. Juli die Umsetzung des European Green Deal präzisieren. Also der angekündigten ambitionierteren Klimapolitik, mit 55 statt 40 Prozent Emissionsminderung bis 2030 (relativ zu 1990) und netto-null Emissionen 2050. Erwartet wird ein schwieriger Abstimmungsprozess der 27 EU-Staaten – schließlich ist hier bei durchgreifenden Veränderungen in der Regel Einstimmigkeit erforderlich. Wie man unter solchen Bedingungen gute Ergebnisse erzielen kann, das beleuchtet jetzt eine ökonomische Modellstudie.
In einem Modell auf Basis der sogenannten Spieltheorie hat das Forschungsteam mathematisch abgebildet, was solche Verhandlungen im Wesentlichen kennzeichnet: ein Nebeneinander von Klimapolitik auf föderaler und einzelstaatlicher Ebene, Abstimmungsbedarf von reichen und armen sowie großen und kleinen Ländern – und als Ankerpunkt die Annahme, dass im Tauziehen um Klimaschutz null Idealismus im Spiel ist. Die Regierungen sind auf Maximierung des nationalen Wohlergehens fixiert und legen ihr Veto ein, sobald die föderale Ebene aus Ihrer Sicht überzieht und mehr Kosten als Nutzen erzeugt.
Die Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) wurde soeben in der renommierten Fachzeitschrift Journal of Environmental Economics and Management veröffentlicht.
„Wir erweitern die ökonomische Theorie zu Finanzföderalismus um die Aspekte Klimapolitik und Konsensfindung“, erläutert Christina Roolfs, Wissenschaftlerin im Future Lab „Public Economics and Climate Finance“ von MCC und PIK und Leitautorin der Studie. „Uns interessiert, wie man in einer solchen Konstellation möglichst viel Klimaschutz hinbekommen kann. Also wie man durch kluges Politik-Design die Anreize so wirksam setzt, dass die Klimagas-Emissionen insgesamt, durch gemeinsame plus einzelstaatliche Politik, angemessen verteuert werden und entsprechend sinken.“
Entscheidend dafür ist, wie die Einnahmen aus der gemeinsamen Emissionsbepreisung an die Staaten verteilt werden. Reiche Länder akzeptieren hier bis zu einem bestimmten Punkt die Rolle des Netto-Zahlers, also Transfers zur Unterstützung der Klimapolitik – denn die ökonomisch messbaren Klimaschäden sind für sie angesichts ihres Wohlstands besonders groß und Gegenmaßnahmen deshalb besonders lohnenswert.
Erst wenn die Transfers zu hoch sind, werden sie vom Motor zum Bremser
Das Forschungsteam rechnet das Verhalten der einzelnen Regierungen für verschiedene Formen der Einnahmen-Verteilung durch und auch für verschiedene Formen des politischen Kalküls: Wenn die Länder wissen, dass sie aus dem gemeinsamen Topf der Emissionsbepreisung etwas zurückbekommen, dann stimmen sie auch einem höheren gemeinsamen Preis zu. Die zentrale Erkenntnis der Studie lautet: Die Einnahmen sollten auf die Länder nicht entsprechend der Bevölkerung verteilt werden und auch nicht entsprechend der aktuellen Emissionen, sondern entsprechend der historischen Emissionen vor dem Start des Bepreisungssystems. Dann wird der Spielraum für eine einvernehmliche ambitionierte Klimapolitik am größten.
„Für den European Green Deal ist das von praktischer Bedeutung“, betont Ottmar Edenhofer, Direktor von MCC und PIK und einer der Co-Autoren der Studie. „Das Geld aus dem EU-Emissionshandelssystem in den Sektoren Energie und Industrie wird schon heute überwiegend nach historischen Emissionen verteilt. Allerdings ist die Einnahmebasis bislang durchlöchert, weil rund die Hälfte der Ausstoßrechte gratis verteilt wird. Nötig ist ein Design aus einem Guss, auch mit Blick auf die angestrebte Ausweitung der Bepreisung auf die Sektoren Verkehr und Wärme.“ Laut Edenhofer ist die Studie generell relevant für internationale Kooperation:
„Die theoretische Analyse zeigt, dass allzu große Unterschiede bei Größe und Wohlstand ein Hindernis sein können. Deshalb kann etwa das Koppeln von CO₂-Bepreisungssystemen zunächst zwischen ähnlich starken Partnern sinnvoll sein, zum Beispiel zwischen der EU und den USA.“