Auch wenn die Corona-Pandemie beim weltweiten Treibhausgas-Ausstoß zu einer „Delle“ führt: Er wird in den nächsten Jahren hoch bleiben, die Triebkräfte sind intakt und in einigen Sektoren und Regionen erschreckend stark. Trotz aller bisherigen politischen Ankündigungen ist ein signifikanter Fortschritt noch nicht in Sicht. Das ist die Quintessenz einer in dieser Form beispiellosen Bestandsaufnahme, erstellt von einem weltumspannenden Forschungsteam unter Leitung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).
An dem Projekt wirkten rund 30 namhafte Forscher aus allen sechs Kontinenten mit. „Wir wollten Sektor für Sektor die Herausforderungen in Bezug auf den schnellen, tiefgreifenden Umbau verstehen, der jetzt offensichtlich zur Lösung der Klimakrise erforderlich ist“, sagt William Lamb, Wissenschaftler in der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung und Leitautor der Studie. „Deshalb haben wir über Primärdatenquellen die Trends und Treiber der Klimagas-Emissionen untersucht, entlang einer Gesamtschau der jeweils wichtigsten Arbeiten aus der Forschungsliteratur.“
Die Bestandsaufnahme gliedert sich nach den fünf Hauptsektoren Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landnutzung. Das Forschungsteam betrachtet die Trends in diesen Sektoren und die ihnen zugrundeliegenden Komponenten (wie Stromerzeugung, Straßenverkehr oder Emissionen aus der Viehzucht), außerdem die allgemeinen Treiber Wirtschaftswachstum, Energieverbrauch, Energieeffizienz und Kohlenstoffintensität der verschiedenen menschlichen Aktivitäten. Wie stark jeder einzelne Einflussfaktor wirkt, wird für jeden Sektor und für jede Weltregion präzise vorgerechnet.
Der Studie zufolge stiegen die globalen Treibhausgas-Emissionen allein von 2010 bis 2018 um 11 Prozent. In nur wenigen Bereichen ging es deutlich abwärts, etwa im Energiesektor in Europa. Dagegen legte in Asien die besonders klimaschädliche Kohleverstromung zu, und in fast allen Regionen stiegen die Emissionen im Verkehrs- und Gebäudebereich – auch weil die Menschen in den reichen Ländern immer mehr unterwegs sind und immer mehr Wohnfläche beanspruchen.
Der globale Frachtverkehr legte in den letzten zwei Jahrzehnten um 68 Prozent zu. Größter Emittent ist laut Studie der Industriesektor, mit weltweit 20,1 Gigatonnen CO₂-Äquivalenten im Jahr 2018, das waren 35 Prozent des Gesamtausstoßes und 14 Prozent mehr als 2010; die anteiligen Emissionen aus dem Stromsektor sind hier mitgerechnet.
Immerhin ein Viertel der Klimabelastung kommt aus dem oft übersehenen Land-Sektor: In nur drei Jahrzehnten wurden unter dem Strich über 7 Millionen Quadratkilometer Primärwald abgeholzt, fast so viel wie die Fläche von Australien. Oft geschah das für Ackerflächen im globalen Süden, auf denen jetzt Lebensmittel für Europa oder China produziert werden. Die Emissionen aus der Landnutzung werden auch durch eine „Verwestlichung“ der Ernährung angetrieben, bei der Fleisch und global beschaffte Fertigprodukte traditionelle und saisonale Erzeugnisse verdrängen.
„Insgesamt zeigen die Sektor-Trends im Jahrzehnt vor Corona nur wenig Fortschritt in Richtung Dekarbonisierung“, bilanziert Jan Minx, Arbeitsgruppenleiter am MCC und Mitautor der Studie. „Weltweit wurden Emissionsminderungen infolge technischen Fortschritts meist durch das Wirtschaftswachstum überkompensiert – auch wenn sich in immer mehr Ländern zeigt, dass erfolgreiche Klimapolitik und Wettbewerbsfähigkeit oft Hand in Hand gehen. Um die Erderhitzung gemäß Weltklimaabkommen zu limitieren, müssen wir eine nachhaltige Landnutzung sicherstellen, exzessive Nachfragen begrenzen, ein hohes Maß an Energieeffizienz erreichen und schnell aus der Nutzung fossiler Brennstoffen aussteigen.“