Alain Aerni probt den Blick in die Zukunft: Die von ihm entworfene Energiesteuerung «Crystalball» verbindet Photovoltaik, Wärmepumpe und Ladestationen und schätzt den Energiebedarf mit Hilfe von Wetterberichten voraus. An der Empa-Akademie in der Schweiz präsentierte er im Herbst 2020 sein System. Alain Aerni wurde am 3. Mai 1960 in Moudon /VD. Er machte eine Ausbildung zum Dipl. Ing. EPFL und Master in Science of Management Massachusetts Institute of Technology (MIT). Beruflich ist er Gründer und CEO der Soleco AG, im schweizerischen Maur. Auszeichnung: Digital Journey Award 2018 des Centre d’Electronique et de Microtechnique (CSEM). Verliehen für die Entwicklung einer Plattform zum Management erneuerbarer Energien in Gebäuden.
Herr Aerni, Sie sind Ingenieur und haben ihr eigenes Wohnhaus, das 20 Jahre alt ist, energetisch optimiert. Diese Dienstleistung bieten sie mit ihrer Firma Soleco auch anderen Hausbesitzern an. Mit welcher Idee sollte man anfangen, wenn man so ein Projekt starten möchte?
Es fängt immer mit den Bedürfnissen des Kunden an. In einem ersten Schritt sollte man den Heizwärmebedarf des Hauses ermitteln. Was brauche ich, um übers ganze Jahr eine Raumtemperatur von 22 Grad Celsius zu erreichen? Wie hoch ist mein Warmwasserverbrauch? Möchte ich allenfalls bald ein oder zwei Elektroautos in der Garage laden, und wie viele Kilometer möchte ich damit täglich fahren?
Brauche ich eine Speicherbatterie, wenn ich ein Elektroauto anschließen will?
Wenn Sie Solarenergie in ihrem Haus besonders wirtschaftlich nutzen wollen, sollten Sie gegenwärtig noch auf eine Speicherbatterie verzichten. Falls Sie also Tage mit Homeoffice haben, können Sie das Elektroauto an diesen Tagen laden und am nächsten Tag damit fahren. Nur wer tagsüber immer unterwegs ist und zugleich mit eigenem Solarstrom laden will, kommt um eine Speicherbatterie nicht herum.
Was muss der Kunde noch berücksichtigen?
Wichtig ist die Frage, wie lange man noch in seinem Haus zu bleiben gedenkt. Der Zeithorizont beeinflusst die Auswahl der Komponenten. Es gibt langlebige Bauteile, wie etwa eine Erdwärmesonde – ein sehr effizientes System, um ein Haus zu heizen. Die sind für 50 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt, aber sie amortisiert sich auch erst über Jahrzehnte. Kunden, die nur zehn bis 15 Jahre vorausplanen möchten, empfehle ich lieber eine Luft-Wasser-Wärmepumpe.
Und wenn ich meinen Wärmebedarf kenne und meinen Zeithorizont, dann kann es losgehen?
Nein, noch nicht ganz. Jetzt kommt der Faktor Lärm ins Spiel. Wenn Sie eine Luft-Wasser-Wärmepumpe nutzen und mit Solarstrom vom eigenen Dach betreiben, dann ist das sehr effizient. Aber so eine Anlage macht Lärm und kann die Nachbarn stören. Wenn Sie ein Einfamilienhaus mit viel Umschwung haben, ist das kein Problem. Für ein großes Mehrfamilienhaus brauchen Sie größere Maschinen: größere Lüfter, größere Kompressoren. In einer eng bebauten Nachbarschaft wird das schwierig.
Das wird dann von der Baubehörde möglicherweise nicht bewilligt?
Stimmt. Sie müssen die Grenzwerte einhalten. Zum Glück gibt es auch sogenannte Split-Geräte: Dort sind nur der Verdampfer und der Ventilator außen angebracht, der Kompressor ist im Haus verbaut. Diese Geräte sind leiser.
Man muss also einen Berater haben, der einen durch die Angebote lotst, die es auf dem Markt gibt.
Ja. Doch man sollte nicht nur über die Wärmepumpe nachdenken, sondern von Anfang an das gesamte System im Auge haben: die Wärmepumpe, die Größe der Photovoltaikanlage, den Warmwasserspeicher, die Elektroautoauto-Ladestation, die Storen für die Beschattung und allenfalls noch die Speicherbatterie. Sie wollen ja alles gemeinsam steuern, damit alles optimal zusammenspielt. Die Komponenten, die Sie kaufen, müssen also mit der zentralen Steuerung kommunizieren können.
Gibt es da kein «Plug-and-Play», keinen gemeinsamen Standard?
Wir sind da noch nicht weit genug. Es gibt etwa einen gemeinsamen Standard für die Steuerung von Wärmepumpen, das «SG Ready Label». Doch damit sind nicht alle Funktionalitäten abgedeckt, die man für ein gutes System haben muss. Das SG Ready Label muss weiterentwickelt werden. Wir sind mit Partnern dran, einen gemeinsamen Standard vorzuschlagen. Doch zugleich gibt es immer mehr Hersteller, die ihre Systeme nach außen hin abschotten, um ihren Marktanteil auszubauen.
Wieviel Vernetzung ist sinnvoll? Kann man da auch übertreiben?
Wenn man effizient sein will, muss man vor allem die großen Verbraucher im Auge haben: Heizung, Warmwasserbedarf, Elektromobilität und Speicherbatterie. Es ist nicht entscheidend, wann die Waschmaschine und der Tumbler laufen. Die kann man per Hand einschalten. Wichtig ist dagegen Berücksichtigung der Sonneneinstrahlung. Unsere Steuerung «Crystalball» (siehe Box) kann mit Hilfe des Wetterberichts das die Erwärmung an sonnigen Tagen und die Wärmeverluste bei kaltem Wind voraussagen, und so die Wärmepumpe sparsamer und gezielter einsetzen.
Sie kühlen Ihr Haus seit dem Umbau auch mit eigenem Solarstrom. Sie haben ihre 20 Jahre alte Fußbodenheizung zu einer Fußbodenkühlung umgebaut. Geht das so einfach?
Dazu muss man nicht einmal etwas umbauen. Wichtig ist nur, dass das Wasser, das durch den Boden läuft, nicht zu kühl ist. Sie brauchen also eine regulierbare Wärmepumpe, deren Leistung zur Fläche passt, die Sie kühlen möchten.
Wie groß muss die Photovoltaikanlage auf dem Dach dimensioniert sein? Kann man da übertreiben?
Es gibt sicher ein Optimum, das zum Energiesystem des Hauses passt. Wenn Sie ihre gesamte Dachfläche mit Fotovoltaik belegen, sind sie sicher darüber. Aber das ist nicht schlimm.
Warum?
Denken Sie an die Nachbarn. Sie können innerhalb des Quartiers Strom an andere liefern, die noch keine Photovoltaik haben. Und denken Sie an die gesamte Landesversorgung. Im Winter, wenn die Sonne flach steht, sind wir um jedes bisschen Solarstrom froh, das wir ins Netz speisen können. Wir können in Zukunft aus Überschussstrom auch Wasserstoff herstellen. Das lohnt sich natürlich nicht in einem einzelnen Einfamilienhaus. Aber irgendwann wird es Anbieter geben, die uns Hausbesitzern im Sommer den Strom abkaufen und daraus Wasserstoff machen.
Na, dann ist ja alles auf bestem Wege in Richtung Energiewende!
Naja, es gibt da schon noch einen Konflikt: Einige Elektrizitätsversorger möchten mit Sperrzeiten Geräte mit großem Energiebedarf – zum Beispiel Wärmepumpen und Ladestationen – so steuern, dass das Netz entlastet wird. Dies führt dazu, dass sie Ihre Wärmepumpe vielleicht gerade dann nicht in Betrieb nehmen können, wenn sie mit Ihrer Photovoltaik am meisten Strom produzieren. Sie müssten den Strom dann zu einem sehr niedrigen Tarif an den Elektrizitätsversorger verkaufen. Der optimiert seine Gewinnzone in diesem Fall auf Kosten der Hausbesitzer.
Eine zentrale Steuerung ist aus Gründen der Netzstabilität aber nötig, oder?
Ich möchte das als Hauseigentümer eindeutig nicht. Und das ist auch nicht nötig.
Wie würden denn Sie das Problem lösen?
Ich kann mit meinem Steuerungssystem zu einem stabilen Stromnetz beitragen, ohne dass jemand von außen Zugriff hat. Mein System ist auf Kostenoptimierung eingestellt. Der Elektrizitätsversorger muss mir nur die variablen Tarife bekannt geben – möglichst acht oder sogar 24 Stunden im Voraus, dann wird «Crystalball» die Wärmepumpe und andere Stromverbraucher automatisch auf die richtige Weise einsetzen. Dieses Gebäude, in dem wir hier sitzen, ist ein beträchtlicher Energiespeicher: Jedes Grad Temperatur in den Mauern bedeutet 74 Kilowattstunden Energie. Wenn heute Abend der Stromtarif hoch ist, und jetzt ist er niedrig, dann heize ich ein paar Stunden voraus und heute Abend nicht mehr – und habe damit das Stromnetz wirkungsvoll entlastet. Trotzdem ist es im Haus angenehm warm. Wir müssen also nur Tarife kommunizieren und den Markt spielen lassen, dann kann jeder Eigentümer auch die Hoheit über seine Hausinstallationen behalten. Und trotzdem wird die Energiewende gelingen.
Das Interview führte Rainer Klose