Zahlreiche Seevögel sind bereits heute vom Aussterben bedroht oder zumindest so stark gefährdet, dass ihre Existenz langfristig nicht gesichert ist. Die Vögel leiden unter den Folgen der Verschmutzung der Meere, der Überfischung und – nicht zuletzt des – Klimawandels. Schutzgebiete sollen dazu beitragen, die bedrohten Vogelarten und ihre Lebensräume wirksam zu schützen und die Artenvielfalt zu sichern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern haben nun mit Hilfe von Tracking-, Phänologie- und Populationsdaten von Seevögeln ein solches Gebiet im Nordatlantik identifiziert, das demnächst als Schutzgebiet ausgewiesen werden soll.
Die Publikation unter der Leitung von Tammy Davies von der Naturschutzorganisation „BirdLife International“ mit dem Titel „Multispecies tracking reveals a major seabird hotspot in the North Atlantic“ („Multispezies-Tracking offenbart großen Seevogel-Hotspot im Nordatlantik“) ist kürzlich in der Fachzeitschrift „Conservation Letters“ erschienen. Aus Gießen ist der Wildbiologe Johannes Lang von der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische am Fachbereich 10 – Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) an der Veröffentlichung beteiligt. In dem wissenschaftlichen Artikel beschreiben Forschende aus der ganzen Welt, wie sie das über Tracking ermittelte Datenmaterial von Seevögeln genutzt haben, um ein Gebiet im Nordatlantik zu identifizieren, das demnächst als Schutzgebiet ausgewiesen werden soll.
Elektronische Ortungstechnologien haben die Wildtierökologie vor allem bei der Untersuchung der Bewegungen schwer erfassbarer Arten revolutioniert. „Diese Fortschritte sind auch für den Schutz von Seevögeln von entscheidender Bedeutung – zum Beispiel bei der Planung von Meeresschutzgebieten für diese stark bedrohte Gruppe“, erläutert Johannes Lang, der als Mitglied des Arbeitskreises Wildbiologie e.V. der JLU jährlich mehrere Wochen zu Forschungszwecken auf Grönland verbringt. Darüber hinaus, so der Experte, tragen solche Daten zu einem besseren Verständnis der Dynamik mariner Ökosysteme im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung bei.
Viele Seevogelarten sind weiträumig unterwegs und wandern Tausende von Kilometern durch nationale und internationale Gewässer, um nur zum Brüten an Land zurückzukehren. Solche wandernden Arten sind zunehmend den menschlichen Einflüssen in den Ozeanen ausgesetzt. „Infolgedessen sind Seevögel eine der am stärksten bedrohten Gruppen von Wirbeltieren, wobei fast die Hälfte aller Arten einen Bestandsrückgang erlebt“, sagt Lang. Unter den 21 kartierten Seevogelarten waren auch Falkenraubmöwen, die der Gießener Biologe in Grönland erforscht und die von ihm in den letzten Jahren mit kleinen Geologgern ausgestattet wurden.
Bei der Analyse der Daten zeigte sich ein großer Hotspot, der jährlich von bis zu fünf Millionen Seevögeln aus mehr als 55 Brutkolonien im Atlantik genutzt wird. Der Hotspot ist zeitlich stabil und eignet sich für eine standortbezogene Erhaltung und wird von der OSPAR-Kommission (Oslo-Paris-Convention on the protection of the North-East Atlantic) als Meeresschutzgebiet in Betracht gezogen. „Ein Schutz könnte dazu beitragen, die derzeitigen und künftigen Bedrohungen für die Arten in diesem Gebiet zu verringern“, ist Johannes Lang vorsichtig optimistisch