In der Biodiversitätsstrategie der EU für 2020 wurde die Wiederherstellung von 15 % der degradierten Ökosysteme gefordert. Im Zeitraum 2021-2030, in der UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen, soll dieses Ziel nun umgesetzt werden. Expert*innen der Universität Wien (Department für Botanik und Biodiversitätsforschung), des Umweltbundesamts sowie des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) haben in Österreich dafür konkrete Landschaftsräume für die Durchführung von Restaurationsmaßnahmen identifiziert. Ökologisch restaurierte Landschaften leisten schließlich auch einen höheren Beitrag zur Klimawandelresilienz.
Die Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen hängt insbesondere von der Entwicklungszeit ab, aber auch von relevanten Standorts- und Nutzungsveränderungen (z. B. Entwässerung, Eutrophierung, Abdämmung von Auen). Für viele Ökosystemtypen sind mittlerweile weit ausgereifte Konzepte vorhanden: Der Zustand kann zum einen durch die Reduktion allgemeiner Umweltbelastungen (z. B. Nährstoffbelastung von Binnengewässern) verbessert werden. Andererseits sind Eingriffe in den Wasser- und Nährstoffhaushalt besonders sensibler Systeme (z. B. baumfreie Regen- und Durchströmungsmoore) oftmals irreversibel. Eine vollständige Regeneration ist daher oftmals nur in historischen oder geologischen Zeiträumen möglich.
Landschaften für Restaurationsmaßnahmen identifiziert
Ein Expertenteam mit Beteiligung der Universität Wien (Department für Botanik und Biodiversitätsforschung) hat nun konkrete Landschaftsräume in Österreich definiert, in denen Restaurationsmaßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen bzw. Landschaften umgesetzt werden sollen. Das Umweltbundesamt gestaltete dafür das methodische Konzept. Als Grundlage diente eine Karte der Verbreitung der nationalen Biotoptypen. Für die Planung der Restaurationsmaßnahmen ist es wichtig, den Zustand der Ökosysteme zu kennen. Dieser wurde bewertet und in vier Zustandsstufen der Degradation unterschieden.
Im Hinblick auf das 15 %-Ziel haben die Experten die Kosten separat für die Ökosysteme Wald, Oberflächengewässer sowie für Offenland-Ökosysteme berechnet und sie betragen bei einem Umsetzungszeitraum von ca. 30 Jahren gesamt rund 10,7 Milliarden Euro, ausgenommen urbane und siedlungsgeprägte Ökosysteme.
Wald: Potenzial im Wald-, Wein- und Mühlviertel sowie in der Oststeiermark
Österreich hat einen Waldanteil von 48 Prozent, den Zustand erfasst die österreichische Waldinventur des BFW. Der ökologische Zustand der Wälder wird durch den Biodiversitätsindex Wald abgebildet, in dem die Baumartenzusammensetzung, das Vorkommen von Totholz, Neophyten und Altbäumen einfließen. Ein Mehr an Baumarten, Totholz und Altbäumen bietet für unterschiedliche Tiere und Pflanzen Lebensräume, Neophyten können jedoch einheimische Arten verdrängen. Wälder mit einer höheren Biodiversität sind klimafitter, stabiler und leisten einen größeren Beitrag zum Klima- und Naturschutz.Laut der Analyse ergibt sich das größte Restaurationspotential für das Ökosystem Wald in Teilen des Wald- und Weinviertels, des Mühlviertels sowie in der östlichen Steiermark. Unter den dreizehn betroffenen Bezirksforstinspektionen sind etwa Waidhofen/Thaya, Horn, Melk, Braunau, Weiz und Hartberg-Fürstenfeld.
Welche jährlichen Kosten verursacht die Erhöhung des Totholzanteiles? Je nach Zielzustand wären zwischen 120.000 Euro und 2 Mio. Euro notwendig. Für das Stehenlassen von Veteranenbäume liegt der Finanzbedarf zwischen 850.000 Euro und 12,5 Mio. Euro pro Jahr. Offenland-Lebensräume: Landschaftselemente und Biotopausstattung in grünland-, ackerlandackerbau- und weinbaugeprägten Kulturlandschaften fördern
Für die Zustandsbewertung der Offenland-Lebensräume wurde die Karte der Biotoptypen mit der Karte der Kulturlandschaftstypen Österreichs räumlich verschnitten.
Der Zustand der einzelnen Kulturlandschaften wurde dabei anhand der Bewertung der Biotopausstattung, aber auch der Erhaltung von Landschaftselementen wie beispielsweise Hecken, Böschungen, Raine, Feldgehölze und Einzelbäumen, ermittelt. Die Priorisierung von konkreten Räumen für die Umsetzung von Restaurationsvorhaben, basierend auf der Zustandsbewertung der grünland-, ackerbau- und weinbaugeprägten Kulturlandschaften, erfolgte durch Zuteilung zu drei vorrangigen Schwerpunkten, für die Wiederherstellung von Ökosystemen: Schutzgebiete, Lebensraumkorridore sowie Landschaften außerhalb von Schutzgebieten und Lebensraumkorridoren.
Für die siedlungsgeprägten Kulturlandschaftstypen erfolgte die Priorisierung konkreter Räume mittels Reihung nach der Bevölkerungsdichte, um renaturierte Räume einer möglichst breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Für die grünlandgeprägten Kulturlandschaftstypen wurden v. a. das niederösterreichische Waldviertel, das oberösterreichische Inn- und Hausruckviertel und der Salzburger Flachgau als Schwerpunktregionen identifiziert. Bei den ackerbaulich geprägten Kulturlandschaftstypen wurden prioritäre Räume v. a. im westlichen Wein- und östlichen Waldviertel, entlang der Thermenlinie, im Marchfeld und in angrenzenden Bereichen des Weinviertels sowie in den Burgenländischen Regionen Parndorfer Platte und Neusiedlersee-Seewinkel ausgewiesen. In Weinbau-geprägten Kulturlandschaften konzentrieren sich die priorisierten Räume auf das westliche und nordöstliche Weinviertel sowie die burgenländische Region Neusiedlersee-Seewinkel.
Österreichs Kulturlandschaften bilden nicht nur das vielfältige natürliche und kulturelle Erbe unseres Landes ab – ökologisch intakte Kulturlandschaften versorgen uns mit lebenswichtigen Ökosystemleistungen, besitzen einen hohen landschaftsästhetischen Wert und sichern die Vielfalt an Arten und Lebensräumen als Bestandteil der Biodiversität.
Auen und Moore
Als räumliche Grundlagen für die Beurteilung des Zustands und die Ableitung des Restaurationspotentials dienten einerseits das Aueninventar Österreich und andererseits der Österreichische Moorschutzkatalog. Aus dem 822 Objekte umfassenden Aueninventar wurden unter Berücksichtigung der naturschutzfachlichen Bedeutung sowie von Synergien mit dem nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan 114 Objekte mit einer Flächensumme von knapp 41.000 ha identifiziert, denen eine hohe bis sehr hohe Priorität hinsichtlich der Umsetzung von Restaurationsvorhaben beigemessen wird. Darunter befinden sich sowohl Auenökosysteme im kontinentalen Osten als auch in der alpinen biogeografischen Region.
Der Moorschutzkatalog umfasst 2997 Moorobjekte. Daraus wurden anhand des Kriteriums naturschutzfachliche Bedeutung 343 international bedeutende Moorobjekte mit einer Flächensumme von knapp 12.500 ha bestimmt, denen die höchste Restaurations-Prioritätsstufe zugewiesen wird. Darunter befindet sich auch der Schilfgürtel des Neusiedlersees – ein Verlandungsmoor, das mit einer Fläche von 9.600 ha eines der größten europäischen Schilfgebiete darstellt. Nachdem gemäß EU-Biodiversitätsstrategie insbesondere jene Ökosysteme, die einen großen Beitrag zur CO2-Speicherung und zur Vermeidung von Naturkatastrophen leisten können, wiederhergestellt werden sollen, werden Moore und Auen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Ökosystem-Restauration spielen.
UN-Dekade zur Ökosystemrestaurierung bis 2030
Am 5. Juni 2021 begann die UN-Dekade zur Ökosystemrestaurierung, die bis 2030 dauert. Sie soll der Wiederherstellung von degradierten oder zerstörten Ökosystemen als Beitrag zu den Zielen der UN-Konventionen zu Klimawandel, Biodiversität und Wüstenbekämpfung sowie zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG – Sustainable Development Goals) dienen.