Die Landwirtschaft steht vor vielen Herausforderungen: Sie soll die Nahrungsmittelproduktion sichern und zugleich den Anforderungen der Gesellschaft an mehr Umwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie dem Tierwohl gerecht werden. Das gelingt aber kaum. Nun kommt Bewegung in die Agrarpolitik: Ende Juni hat die Zukunftskommission Landwirtschaft ihre Vorschläge präsentiert, die ein „Weiter so“ ausschließen. Zudem hat die EU ihren Mitgliedstaaten mehr nationale Spielräume in der Agrarpolitik eingeräumt.
Der Umweltrechtler Prof. Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sieht nun gute Voraussetzungen für ein neues Landwirtschaftsgesetz in Deutschland. Es soll für mehr Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft sorgen und nach vielen Jahrzehnten bürokratischer Politikentwicklung das Parlament in die Agrarpolitik einbeziehen. Naturschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Bodenschutzrecht, Pestizidzulassungs- und -anwendungsrecht, Düngerecht – gesetzliche Regelungen, wie der Schutz der Umwelt in der Landwirtschaft umgesetzt werden könnte, gibt es reichlich. Doch geholfen hat das bisher wenig.
„Es ist dem Umweltrecht und dem umweltbezogenen Agrarfachrecht bis heute nicht gelungen, eine umweltverträgliche Landwirtschaft sicherzustellen“, sagt UFZ-Umweltrechtler Prof. Wolfgang Köck. Für die Einhaltung von Grundsätzen des Tier- und Umweltschutzes in der Landwirtschaft sollte eigentlich die sogenannte „gute fachliche Praxis“ sorgen, die in verschiedenen Fachgesetzen verankert ist, doch de facto wurde diese bislang kaum konkretisiert und deswegen in der landwirtschaftlichen Praxis kaum angewendet.
Die Folgen sind bekannt: Auf den Äckern und Wiesen verschwinden Tier- und Pflanzenarten, die Emissionen der Agrarflächen tragen in Deutschland jedes Jahr mehr als acht Prozent zu den gesamten Treibhausgas-Emissionen bei, Düngemittel und Pestizide gefährden in vielen Regionen das Grundwasser als wichtige Trinkwasserressource, um nur einige der negativen Auswirkungen zu nennen.
Mittlerweile hat die Politik aber erkannt, dass ein „Weiter so“ in der Landwirtschaft nicht der richtige Ansatz sein kann. Im Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten „Zukunftskommission Landwirtschaft“ kamen Vertreter:innen aus rund 40 Verbänden und Organisationen zu dem Schluss, dass die derzeitigen Wirtschaftsweisen in der Landwirtschaft weder ökologisch noch ökonomisch bzw. sozial zukunftsfähig sind.
„Die Zukunftskommission hat so viele Aufgaben und Probleme in ihrem Abschlussbericht angesprochen, dass sie sich nicht durch kleine Weichenstellungen in diversen Fachgesetzen lösen lassen“, sagt Wolfgang Köck, der seit 2020 auch Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) ist. „Wir brauchen für die Landwirtschaft einen neuen Gesellschaftsvertrag, um diesen Sektor auf eine große Transformation vorzubereiten.
Dies geht nur über ein umfassendes Gesetz, das sämtliche Aspekte der Landwirtschaft berührt“, sagt er. Das bisherige Landwirtschaftsgesetz stammt aus dem Jahr 1955 und regelt lediglich den Auftrag zur Erfassung der Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft und die regelmäßige Berichtspflicht der Bundesregierung zur Lage der Landwirtschaft. Köck: „Das ist angesichts der enormen Bedeutung dieses Sektors für die nachhaltige Entwicklung in Deutschland erschreckend wenig. Die wesentlichen Entscheidungen gehören in einer Demokratie in die Hand des Parlaments.“
Das neue Landwirtschaftsgesetz sollte aus Sicht des UFZ-Umweltrechtlers als Rahmengesetz konzipiert werden, das der Agrarpolitik durch ein verbindliches Leitbild und daraus abgeleiteten verbindlichen Zielen Richtung und Maß für den Transformationsprozess gibt. „Es muss die notwendigen Weichenstellungen und Instrumente bereithalten, um die Ziele auch durchzusetzen.
Dazu zählen etwa die Grundpflichten für die landwirtschaftliche Bodennutzung, die durch konkrete Festlegungen über die gute fachliche Praxis zu bestimmen sind, sowie eine Agrarpolitikplanung, die durch das EU-Recht ohnehin vorgegeben ist“, erläutert Köck die Eckpunkte für ein solches Landwirtschaftsgesetz.
Das Gesetz sollte zudem Kompensationsregelungen für die Transformation der Landwirtschaft festlegen, wie zum Beispiel Ausgleichszahlungen für bestimmte Sonderlasten, die Anpassung an den Klimawandel oder Investitionen für eine tierwohlgerechte Nutztierhaltung. Zudem sollte es ökologische Leistungen im Allgemeininteresse von Landschaftsschutz und Biodiversität honorieren.
„Der Umbau ist mit Sonderlasten verbunden, denn die Betriebe werden anders wirtschaften müssen als bisher, vor allem in den Nitratbelastungsgebieten. Das muss die Gesellschaft durch Ausgleichszahlungen auffangen“, sagt er. Notwendig ist außerdem, die Landwirtschaft wieder stärker mit der regionalen Raumentwicklung zu verzahnen und regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken.
Rechtlich möglich werden könnte ein neues Landwirtschaftsgesetz jetzt auch, weil die EU-Kommission bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) den EU-Staaten mehr nationale Verantwortung überlässt. „Das neue GAP-Modell sieht vor, dass Brüssel nur die grundlegenden Anforderungen festlegt und dass die Mitgliedstaaten über ihre nationalen Strategiepläne konkrete Festlegungen treffen und die Maßnahmen bestimmen können“, sagt Köck.
Deutschland könne damit eine eigene Landwirtschafts- und Agrarumweltpolitik machen, wenn diese nicht im Widerspruch zur EU-Politik stehe. „Diese Autonomieräume sollte die Bundesregierung nutzen und damit schon in der kommenden Legislaturperiode beginnen.“
Dass ein Landwirtschaftsgesetz in Deutschland funktionieren könnte, zeigt der Blick über die Grenzen: Sowohl die Schweiz als auch Frankreich haben ein Landwirtschaftsgesetz verabschiedet.
So nennt das Schweizerische Gesetz als Leitbild die Ernährungssicherung für die eigene Bevölkerung, den Umweltschutz, das Tierwohl und die Pflege der Kulturlandschaft. „Die Schweiz hat in der Zielfestlegung und Leitbildentwicklung die großen Zukunftsthemen erfasst, so dass deutlich wird, was zu leisten ist und wofür staatliche Hilfen erwartet werden können“, sagt er. Dies könnte auch Vorbild für Deutschland sein.