Der Klimawandel macht sich in unserem Alltag immer häufiger direkt bemerkbar, vor allem in Form von extremen Wetterereignissen wie den Hitzewellen der vergangenen Sommer oder den Überschwemmungen in der Eifel in diesem Jahr. Der neueste Bericht des unabhängigen Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zeigt, dass solche Ereignisse in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein werden – es ist höchste Zeit zu handeln.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass der Temperaturanstieg im besten Fall auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann. Ein Anstieg von 2,0 Grad Celsius gilt häufig als Worst-Case-Szenario. Aber wie realistisch ist das überhaupt? Und was geschieht, wenn wir auch die 2 Grad Celsius überschreiten? Eine neue Veröffentlichung von Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) sowie der Universität in Cambridge (Großbritannien) zeigt, dass hier eine Forschungslücke besteht und drastischere Szenarien der Erderwärmung in der Wissenschaft zu wenig Beachtung finden.
„Der aktuelle wissenschaftliche Diskurs um den Klimawandel konzentriert sich auf den Temperaturbereich, den wir gerne erreichen wollen. Dies konnten wir zeigen, indem wir die Berichte des IPCC systematisch per Textanalyse ausgewertet haben“, so der leitende Wissenschaftler der Studie, Dr. Florian Jehn von der Professur für Landschafts-, Wasser- und Stoffhaushalt an der JLU. „Dabei stellte sich heraus, dass fast alle untersuchten Szenarien von einer Erwärmung von plus 1,5 Grad Celsius bis plus 2 Grad Celsius ausgehen.
Forschung für Temperaturbereiche darüber gibt es nur wenig. Allerdings zeigen aktuelle Projektionen, dass eine Erwärmung der Erde um 3 Grad Celsius durchaus wahrscheinlich ist.“ Es gebe auch Szenarien, die sogar eine Erwärmung um 4 oder 5 Grad Celsius oder noch mehr voraussagen. Deshalb sei wichtig, sich in der Forschung auch mit extremen Klimaszenarien zu beschäftigen, um für die Zukunft vorbereitet zu sein.
„Bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsere Erde um mehr als 3 Grad Celsius erwärmt, in der Projektion, die wir betrachtet haben, bei über 60 Prozent“, so Jehn. Allerdings betrachteten nur 10 Prozent der im IPCC-Bericht erwähnten Veröffentlichungen solche oder noch stärkere Temperaturanstiege. Eine Erwärmung um mehr als 6 Grad Celsius werde quasi gar nicht erwähnt, obwohl die Wahrscheinlichkeit hierfür immerhin bei bis zu 10 Prozent liegen könnte – ein beträchtliches Risiko.
Für diese eklatante Forschungslücke kann es nach Ansicht des Forschungsteams mehrere Gründe geben. Zum einen bildet der IPCC in langen Verhandlungsrunden den wissenschaftlichen Konsens ab und tendiert daher eher zu konservativen Schlussfolgerungen. „Möglicherweise neigen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zudem generell zu eher vorsichtigen Aussagen, um sich nicht, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, dem ungerechtfertigten Vorwurf des Alarmismus ausgesetzt zu sehen“, sagt Jehn.
Auch für Prof. Dr. Lutz Breuer, der sich an der JLU vor allem mit den Auswirkungen des Klimas auf den Wasserhaushalt beschäftigt und der an der Studie mitwirkte, sind die Ergebnisse ein deutliches Warnsignal: „Wir benötigen neuen Konzepte in der Forst- und Landwirtschaft, aber möglicherweise auch für die Wasserversorgung, sollten wir auf einen derart extremen Klimawandel zusteuern.“ Notwendig seien daher detailliertere Prognosen für eine Welt, die sich um 3 Grad Celsius oder mehr erwärmt. Denn unter derartigen Rahmenbedingungen werden extreme Wetterereignisse noch häufiger und vermutlich auch heftiger auftreten.