Die Überflutungen in der Eifel im Juli waren weit mehr als ein Problem von zu viel fließendem Wasser. Wie das Mitreißen von Totholz und Sedimenten die Auswirkungen der Flut verstärkt hat – und was daraus für künftige Forschung folgt, schreiben die GFZ-Forscher Michael Dietze und Ugur Öztürk heute in der Zeitschrift Science. Ein Bericht mit Eindrücken vom Ablauf der Flut:
Am 14. Juli 2021 fielen in der Eifel in nur 22 Stunden zwischen 60 und 180 mm Regen, eine Menge, die sonst in mehreren Monaten fällt, und die zu katastrophalen Überflutungen geführt hat. Die Ereignisse waren weitaus zerstörerischer, als bestehende Modelle vorhergesagt hatten. Forschende des Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ machen dafür eine Reihe von Effekten verantwortlich, die bisher in Mitteleuropa kaum aufgetreten und daher in diesen Regionen noch nicht genug berücksichtigt wurden.
Dazu gehört insbesondere das Mitreißen von Totholz und Sedimenten, beides Effekte, die mit fortschreitendem Klimawandel weiter an Bedeutung gewinnen dürften. Über die Mechanismen, die die Auswirkungen der Flut verstärkt haben, berichten Michael Dietze und Ugur Öztürk heute in der Zeitschrift Science. Sie geben auch einen Ausblick auf ein neues Forschungsvorhaben, das hier ansetzt, um künftige Vorhersagen realistischer zu gestalten.
Forschende als zufällige Zeugen der Hochwasserkatastrophe
Der 14. Juli ist ein regnerischer Tag. GFZ-Forscher Michael Dietze ist mit Kolleg*innen aus Potsdam und der Uni Bonn auf dem Rückweg von Geländearbeiten in der südlichen Eifel. Im Auto zurück Richtung Norden wird ihnen schnell klar, dass hier gerade mehr passiert als nur ein langer kräftiger Regen: Der Liveview des Pegels Altenahr steigt 15-minütig rasant an, schneller als die eigentliche Vorhersage – und als es den Forschenden lieb ist, denn eigene Messungen sind davon betroffen.
Überflutungen der Ahr sind nichts Ungewöhnliches: Im Rahmen eines Forschungsprojektes haben Dietze und Kollegen einige Wochen zuvor auf einer drei Meter hohen Terrasse im Ahrtal mehrere Seismik-Stationen aufgebaut. Damit wollten sie die Bodenbewegungen messen, die durch turbulent fließendes Wasser und Gerölltransport im Fluss bei „regulären“ Hochwassern entstehen. Nun ist der Pegel schon einen Meter über dem Terrassenniveau, die Stationen sind verloren.
Bekannte Effekte – aber aus anderen Gegenden der Welt
Was die Forschenden hier erleben, ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt der eigentlichen Katastrophe, die in den Tälern von Ahr, Erft und Rur ihren Lauf nimmt. „Die Flut in den Tälern der Eifel war weitaus gewaltiger, schneller und unberechenbarer, als wir das für ein solches Ereignis in der Mitte Europas bislang angenommen haben“, sagt Michael Dietze, PostDoc in der Sektion Geomorphologie am GFZ und am Geographischen Institut der Universität Bonn. „Die Ursachen dafür sind vielfältig und uns durchaus bekannt – allerdings bisher nicht aus Mitteleuropa, sondern aus Wüsten und den Tropen.“
Schnell gesättigter Boden
Der Regen konnte nicht mehr in den durch wochenlang auftretende Regenfälle schon gesättigten Untergrund einsickern. Er war auch zu stark, um dann nur als dünner Wasserfilm die Hänge herunterzulaufen. Stattdessen verwandelten sich Hänge regelrecht in breite Flüsse und transportierten das Wasser statt mit einer Geschwindigkeit von einigen Zentimetern plötzlich mit einigen Metern pro Sekunde, also bis zu hundert Mal schneller. Dadurch konnte es in den Haupttälern viel schneller zu einer Flutwelle zusammenlaufen.
Enorme Erosionskraft des Wassers
Zusätzlich entwickelte das Wasser eine enorme Erosionskraft: Zum einen grub es sich in die Hänge und konnte in den so erzeugten Erosionsrinnen nochmals schneller abfließen. Zum anderen mobilisierte es erhebliche Mengen Sediment und Totholz. Einmal in den Tälern angekommen, trieben die Baumstämme und Äste auf die zahlreichen Brücken zu, die es zum Beispiel im Ahrtal gibt. Dort verfingen sie sich und führten zu sogenannten Verklausungen. Dadurch wurde der Abfluss behindert, das Wasser staute sich und erreichte auch höher gelegene Gebiete.
Unerwartete Effekte an Kiesgrube und Straßen
Im Zuge dieser Ereignisse entstanden bisher in der Region nicht für möglich gehaltene Effekte und sogenannte gekoppelte Gefahren. Die normalerweise fünf Meter breite Erft trat bei der Stadt Blessem über die Ufer und ergoss sich über ein Feld direkt in eine Kiesgrube. Auch hier wurde ein schwach geneigter Hang zu einem breiten Fluss und der Grubenrand fraß sich über eine Länge von 300 Metern wie ein Wasserfall stromaufwärts in Richtung Blessem. Dabei unterhöhlte er die ersten Häuser und ließ sie einstürzen.
Auch die Straße durch Blessem wurde zu einem Fluss, der an unbefestigten Rändern beginnend den gesamten Straßenaufbau unter- und wegspülte, sodass allein die Abwasserrohre zurückblieben. Diese Erosion ebbte nur durch Zufall ab, als immer weniger Wasser die Erft herabfloss.
Gekoppelte Gefahren: der Staudamm der Steinbachtalsperre
Eine besondere Gefahr ging von der nur 35 Kilometer stromaufwärts liegenden Steinbachtalsperre aus. Dieser Erddamm hält 1,2 Mio. Kubikmeter Wasser zurück. Er wurde in der Nacht zum 15. Juli auf einer Breite von 150 Metern knietief überspült, weil der Notüberlauf die ankommenden Wassermassen nicht abführen konnte.
Der überspülte Damm erodierte massiv, so dass ein Bruch unmittelbar bevorstand. Wäre dies passiert, hätte die Flutwelle die Prozesse in Blessem erneut entfacht, und darüber hinaus in den Ortschaften direkt unterhalb der Talsperre massive Zerstörungen verursacht. „Dieses Beispiel macht deutlich, wie eng gekoppelt auch scheinbar weit voneinander entfernte Örtlichkeiten sind“, betont Dietze.
Ausblick: Identifikation neuer Forschungsansätze
„Mit anhaltendem Klimawandel werden wir Niederschlagsereignisse wie das am 14. Juli 2021 ziemlich häufig erleben. Daher muss die Forschung jetzt beginnen, durch Starkregen ausgelöste Hochwässer nicht nur als Phänomen von zuviel schnell fließendem Wasser zu verstehen, sondern auch die damit einhergehenden selbstverstärkenden Effekte einzubeziehen, die teilweise ebenfalls durch den Klimawandel begünstigt werden“, sagt Dietze.
Dazu gehören die Zerschneidung der Hänge vor allem in den oberen Einzugsgebieten, die Mobilisierung von Totholz und von erodierten vitalen Bäumen sowie deren Rolle bei der Verklausung von menschlicher Infrastruktur. Außerdem müssen neue gekoppelte Gefahren identifiziert und berücksichtigt werden.
Neues Forschungsprojekt liefert wichtige Daten für künftige Modelle
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird sein, die Spuren der Katastrophe vom Juli 2021 rasch und hoch aufgelöst zu sichern. Das gilt vor allem für die Gebiete, in denen die Flut ihre Kraft gewonnen hat und die bisher kaum im öffentlichen Fokus standen: die oberen Einzugsgebiete der Flüsse bis hin in die Quellgebiete ihrer Nebenflüsse. Mit einem kürzlich bewilligten Projekt, gemeinsam finanziert durch das GFZ und das Graduiertenkolleg NatRiskChange der Universität Potsdam, werden jetzt gezielt diese Gebiete beflogen, um die Landschaft aus Flugzeugen heraus mittels Laser abzuscannen.
Daraus entstehen dann hochaufgelöste 3D-Modelle der veränderten Landschaft. Sie können mit bestehenden Datensätzen verglichen werden, die bereits vor der Flut gewonnen wurden. So können die Schlüsselinformationen zu erodierten Hängen, mobilisiertem Holz und überfluteten Flächen gesichert und ausgewertet werden, um zukünftige Modelle durch gemessene Daten zu verbessern. Und dann können Dietze und seine Kollegen auch ihre Seismik-Stationen zur Analyse der flutbedingten Sedimentfracht an tatsächlich sicheren Standorten neu installieren.