In seinem Aufsatz kritisierte Hardin 1968 den Glauben daran, dass alle Probleme der Menschheit durch technische Innovationen gelöst werden könnten. Das größte Problem sah er in den Folgen der stetig wachsenden Weltbevölkerung. Diese verbrauche immer mehr frei zugängliche und begrenzte Ressourcen, etwa Land und Wasser, schrieb er damals für die Zeitschrift „Science“. Am Ende der Entwicklung sah er langfristig den Kollaps des gesamten Systems. Er forderte ein Umdenken: Der Zugang zu Gemeingütern müsste privatisiert oder staatlich kontrolliert werden.
Der studierte Biologe, der der Commons-Forschung den Auftrieb gab, war jedoch kein Ethiker und: „Hardin macht in seinem Aufsatz einen Fehler: Er setzt Gemeingüter mit freiem, ungeregeltem Zugang gleich. Er spricht über Ressourcen, für die es kein Regelwerk gibt. Das ist für Gemeingüter aber gar nicht der Fall“, sagt Prof. Dr. Insa Theesfeld, Professorin für Agrar-, Umwelt- und Ernährungspolitik an der MLU. Bei klassischen Gemeingütern, wie Wäldern oder Fischgründen, gebe es aber ein dezidiertes Regelwerk. Darin festgehalten sind Rechte wie Pflichten der Nutzer und Angaben dazu, wer überhaupt als Nutzer in Frage kommt.
Prof. Dr. Insa Theesfeld von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU).
Gemeingüter würden heute deutlich breiter verstanden als vor 50 Jahren, so Theesfeld. So zählten etwa die globale Atmosphäre oder der öffentliche Raum zu den Commons. Auch für die Wissenschaft, den Software- und IT-Bereich gebe es viele Überlegungen, diese über ein „Commons“-Prinzip zu regulieren. „Nicht jedes Gemeingut wird knapper, wenn man es teilt. Bei Wissen ist sogar das Gegenteil der Fall: Es vermehrt sich“, so die Wissenschaftlerin. Deshalb gehe es in der aktuellen Forschung zu Gemeingütern auch darum, Fragen des Zugangs und der Bereitstellung zu klären. Der Commons-Gedanke spiele sogar in Kommunen eine immer größere Rolle: Viele Städte bieten kleine Flächen im Stadtgebiet – sogenannte Urban Gardens – an, die von den Bürgerinnen und Bürgern bepflanzt und bearbeitet werden könnten.
Das halbe Jahrhundert Wissenschaft der Gemeingüter ist Anlass für die International Association for the Study of the Commons (IASC) – deren Gründungspräsidentin die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom war – eine ganze „Internationale Woche der Gemeinschaftsgüter“ zu organisieren. Diese findet vom 4. bis 12. Oktober 2018 weltweit statt und soll auch der Forschung zu Commons Governance neue Impulse zu geben. MLU-Wissenschaftlerin Insa Theesfeld ist Initiatorin und Mitorganisatorin dieser Internationalen Woche. Als Leiterin der Europäischen IASC-Gruppe koordiniert sie die europäischen Veranstaltungen, die dezentral in Form von Mini-Konferenzen oder Workshops stattfinden. Die Martin-Luther-Universität beteiligt sich mit einer Mini-Konferenz zu Pseudo-Commons in postsozialistischen Ländern, die Theesfeld gemeinsam mit der bulgarischen Agraruniversität Plovdiv organisiert. Dr. Ilkhom Soliev, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Theesfeld, organisiert eine Exkursion zur halleschen Freiraumgalerie zum Thema „Revitalizing the Common Urban Space“.
Am 12. Oktober 2018 findet zudem ein 24-stündiges, globales Webinar statt – jeweils zur Mittagszeit eine halbe Stunde rund um den Globus, bei dem Experten aus der ganzen Welt über neue Gemeingüter-Projekte referieren. https://www.worldcommonsweek.org/webinars
Die dezentralen Veranstaltungen in ganz Europa stehen allen interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern offen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, selbst eine Veranstaltung zum Thema zu organisieren.