Im Juni 2021 wurde in Deutschland ein Lieferkettengesetz beschlossen, das im Ausland produzierende Unternehmen dazu verpflichtet, mehr Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu übernehmen. Doch auch mit diesem Gesetz haften Unternehmen den Geschädigten gegenüber nicht. Wie eine praktikable Haftungsregelung aussehen könnte, hat Prof. Dr. Matteo Fornasier von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) untersucht. Er plädiert dafür, eine solche Regelung auf europäischer Ebene, nicht im deutschen Recht zu verankern:
In vielen Ländern sind nicht nur Arbeits- und Herstellungskosten niedriger als in Deutschland, sondern auch die sozialen und ökologischen Standards. Verheerende Arbeitsunfälle oder Umweltkatastrophen sind die Folgen. Die Frage, ob Unternehmen für die dadurch entstehenden Schäden haften sollten und wie genau solch eine Haftungsregelung ausgestaltet sein sollte, ist komplex.
Mit ihr beschäftigt sich Matteo Fornasier in seiner Forschung am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Ihm geht es dabei nicht um eine moralische Bewertung, sondern um den objektiven rechtswissenschaftlichen Blick.
In der Diskussion um das Lieferkettengesetz prallen der im Völkerrecht verankerte Schutz von Menschenrechten und die unternehmerische Freiheit aufeinander.
„Für die Wahrung der Menschenrechte sind eigentlich die Staaten verantwortlich“, erklärt Fornasier. „Unternehmen können sicherlich zum Menschenrechtsschutz beitragen – doch gibt es dafür Grenzen.“
Der Jurist gibt ein plakatives Beispiel: Wenn in China die Gründung freier Gewerkschaften nicht erlaubt ist, inwieweit ist es dann sinnvoll und realistisch, einem Autohersteller die Verantwortung für den Schutz der Gewerkschaftsrechte in chinesischen Produktionsstandorten zu übertragen? Unternehmen haben nicht die gleiche Handhabe und nicht die gleichen Kompetenzen wie ein Staat, die Menschenrechte zu verteidigen.
Schritt für Schritt zur Haftungsregelung
Eine praktikable Haftungsregelung müsste laut Matteo Fornasier Schritt für Schritt entstehen. Die erste Gesetzesversion sollte nicht danach streben, jede Kleinigkeit für jedes Unternehmen zu regeln. Stattdessen sollte sie zunächst nur für große Unternehmen gelten. „Sie haben eine gewisse Macht und können vermutlich Einfluss auf ihre Lieferanten im Ausland nehmen“, so Fornasier.
Des Weiteren sollte das Gesetz erst einmal nur für Kernlieferanten gelten: bei einem Automobilhersteller etwa für die Zulieferer von Kfz-Komponenten, aber nicht für den Lieferanten, der die Personalverwaltung mit Druckerpapier versorgt. Auf Letztere haben Unternehmen weniger Einfluss. Außerdem sollten im ersten Schritt die fundamentalen Menschenrechte geschützt werden, sodass menschenwürdige Arbeitsbedingungen sichergestellt sind.
„Menschenrechte – das ist ein schillernder Begriff und ein weiter Begriff“, sagt Matteo Fornasier. „Er kann das Verbot von Sklaverei und Kinderarbeit ebenso umfassen wie den Zugang zu einem Ausbildungsplatz oder zu Arbeitsvermittlungsbehörden.“ Um praktikabel zu sein, sollte ein Gesetz zunächst die wichtigsten Menschenrechte in den Produktionsländern schützen. Wenn solch eine Haftungsregelung einmal funktioniert, könne man sie Schritt für Schritt weiter ausbauen.
Alle Regelungsebenen beachten
Der Bochumer Jurist plädiert dafür, die Unternehmenshaftung auf europäischer Ebene einzuführen, und sieht einen nationalen Alleingang kritisch. „Es könnte dazu kommen, dass man eine tolle Regelung in Deutschland hat, die gar keine Anwendung findet, weil das europäische Recht vorgibt, das Recht vom Unfallort anzuwenden“, erklärt er.
Eine europäische Lösung würde laut Fornasier zudem ein Argument vieler Unternehmen abschwächen: Die Firmen haben eine Haftungsregelung im deutschen Recht bislang unter anderem verhindert, weil sie einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu ausländischen Konkurrenten befürchten.