
Mit dem BRIESE-Preis für Meeresforschung 2020 würdigt die Jury die herausragende Forschung von Dr. Christoph Böttner zu der Frage, wie sich Fluide – Flüssigkeiten und Gase – in Meeressedimenten ausbreiten. Dies basiert auf den unterschiedlichsten Prozessen und kann in vieler Hinsicht auch klimarelevant sein. Böttner kombinierte sehr unterschiedliche Methoden aus der Geophysik, Geologie und Geochemie auf neue Weise, um die zugrundeliegenden geologischen Prozesse genauer zu analysieren.
Fluide – damit bezeichnet man sowohl Flüssigkeiten als auch Gase, die den gleichen physikalischen Gesetzen folgen – sind wichtiger Bestandteil fast aller geologischen Prozesse auf der Erde. Obwohl diese in der Erdkruste ablaufen, wirken sich viele auch auf die darüber liegenden Meere oder die Atmosphäre aus. Wie die Fluide – beispielsweise das hochwirksame Klimagas Methan oder auch eingelagertes Wasser – dorthin gelangen, wird von vielen Faktoren bestimmt.
Man weiß, dass die Durchlässigkeit der geologischen Schichten unterhalb des Meeresbodens, durch die die Fluide hindurchdringen, durch ihre spezifische Festigkeit und Porosität einen entscheidenden Einfluss haben. Auch geologische Strukturen natürlichen Ursprungs – etwa Auffaltungen, Verwerfungen oder Brüche – sowie menschliche Eingriffe, beispielsweise Bohrungen zur Förderung von Erdgas oder Erdöl, spielen eine wichtige Rolle. Dennoch sind die äußerst komplexen geologischen Prozesse, die der Fluidausbreitung zugrunde liegen, in vieler Hinsicht zu wenig verstanden.
Christoph Böttner, der aktuell an der Kieler Christian-Albrechts-Universität arbeitet und heute in Warnemünde am IOW mit dem BRIESE-Preis für Meeresforschung ausgezeichnet wurde, hat sich in seiner Doktorarbeit intensiv mit verschiedenen Ausbreitungsprozessen von Fluiden in Meeressedimenten befasst. „Meine Motivation liegt vor allem in den Herausforderungen begründet, vor die uns der Klimawandel stellt“, sagt der marine Geophysiker anlässlich der Preisverleihung.
„Denn zum einen gelangen in bestimmten Meeresgebieten große Mengen Methan – auch durch menschliche Aktivitäten – aus dem Untergrund bis in die Atmosphäre, was zukünftig für Klimaberechnungen systematischer erfasst und, wenn möglich, auch verhindert werden sollte. Zum anderen beruht eine Schlüsseltechnologie zur Eindämmung des Klimawandels innerhalb der Pariser Klimaziele auf aktiver Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre und dessen Speicherung in geologischen Formationen – auch unter dem Meeresgrund.“
Um diese Technologie sicher und effizient nutzen zu können, sei unter anderem eine möglichst genaue Einschätzung der Risiken – etwa potentieller Leckagen – unabdingbar, wozu auch ein grundlegendes Verständnis vertikaler Ausbreitungswege von Fluiden notwendig sei, so der Kieler Wissenschaftler.
Für seine Doktorarbeit verfolgte Böttner einen sehr breiten Ansatz, sowohl bei der Auswahl der Untersuchungsgebiete als auch bei der Auswahl und Zusammenführung sehr unterschiedlicher Analysemethoden. In der Nordsee befasste er sich zum einen mit einem Gebiet, in dem Methan auf natürliche Weise aus dem Meeresgrund austritt.
Zum anderen untersuchte er – ebenfalls in der Nordsee – umfangreiche Gasleckagen aus fast 2000 stillgelegten Gasbohrlöchern in einem Gebiet der Größe von Sachsen-Anhalt (gut 20.000 Quadratkilometer). Hier konnte er nachweisen, welche geologischen Bedingungen solche unerwünschten Gasaustritte begünstigen. Zudem erforschte er untermeerische Hangrutschungen und die Rolle von Fluidflüssen an dem bei Neuseeland gelegenen, seismisch sehr aktiven Hikurangi-Kontinentalrand und studierte fossile Schlotstrukturen in Bulgarien. Letztere geben als exponierte Sandsteinformationen an Land Aufschluss über Fluidprozesse in lockeren sandigen Meeressedimenten während des viele Millionen Jahre zurückliegenden Eozäns.
Um die in der Regel äußerst unzugänglichen geologischen Strukturen und die Aktivitäten der Fluide zu verstehen, die nicht nur in großer Meerestiefe unter Wasser liegen, sondern teilweise auch über 1000 Meter tief in der Erdkruste verborgen sind, kombinierte Christoph Böttner unterschiedlichste Methoden aus Geophysik, Geologie, Geochemie sowie der Fernerkundung. Konventionelle und hochauflösende 3D-Seismik lieferten Informationen über den geologischen Aufbau der Erdkruste unterhalb der Meeresbodenoberfläche.
Für seine Untersuchungen in der Nordsee machte er sich dabei auch sehr große seismische Datensätze aus der kommerziellen Gasindustrie zunutze. Außerdem setzte Böttner Hydroakustik ein, um hochauflösende Informationen über die obersten, oft von feinen Strukturen geprägten Schichten des Meeresbodens zu erhalten und in der Wassersäule die Blasen der Gasleckagen zu erfassen. Sedimentbeprobung und geochemische Untersuchungen ergänzten die Informationen über den Sedimentaufbau und die chemische Zusammensetzung der untersuchten Fluide.
Dass man Forschung zu untermeerischen Prozessen auch an Land betreiben kann, zeigt Böttners Analyse der mittels Drohne gewonnenen photogrammetrischen Daten von Schlotstrukturen bei Varna, die durch fokussierten Fluss von Methan vor etwa 50 Millionen Jahren entstanden.
Insgesamt zeichnet die Arbeit von Christoph Böttner ein sehr vielschichtiges und auch neues Bild verschiedenster, zeitlich und räumlich sehr variabler Fluidflüsse in der Erdkruste, von ihren Quellen und Ausbreitungswegen – in durchlässigen Schichten wie auch gebündelt entlang natürlicher und menschgemachter Strukturen. „Zum Verständnis der zugrundeliegenden Prozesse hat sich insbesondere mein ganzheitlich-interdisziplinärer und mehrskaliger Ansatz als sehr hilfreich erwiesen“, sagt Böttner abschließend.