China verursacht weltweit am meisten Kohlendioxid (CO2) und trägt so maßgeblich zur Klimaerwärmung bei. Doch mittlerweile investiert die Volksrepublik stark in die Reduktion ihres CO2-Ausstoßes. Dahinter steckt vermutlich mehr als der reine Wunsch nach Klimaschutz. Denn mit einem Rückgang der CO2-Emissionen geht auch eine Verbesserung der Luftqualität auf lokaler Ebene einher.
Prof. Bodo Sturm von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) zeigt erstmals in einer gemeinsamen Studie mit Prof. Andreas Löschel (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Prof. Wolfgang Buchholz (Universität Regensburg) sowie Prof. Jiansuo Pei, Dr. Ran Wang und Prof. Zhongxiu Zhao (Universität für Außenwirtschaft und Handel Peking), dass der lokale Zusatznutzen von Klimaschutz die individuellen Entscheidungen von Einwohnerinnen und Einwohnern Pekings beeinflusst. Die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Feinstaub stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko in chinesischen Metropolen dar.
Nach einer Schätzung des Health Effects Institute verursachte die Luftverschmutzung 2013 in China rund 366.000 vorzeitige Todesfälle. Im selben Jahr führte das Land in sieben Provinzen einen regionalen Zertifikathandel für CO2-Emissionen ein. 2021 wurde der Handel auf die gesamte Volksrepublik ausgeweitet. Das Prinzip: Es gibt eine vorgegebene Menge an CO2-Zertifikaten. Für jede verursachte Tonne CO2 müssen Energie- und Industrieunternehmen ein Zertifikat einlösen. Die Menge der verfügbaren Zertifikate wird stetig knapper. Damit steigt ihr Preis und somit der Anreiz, weniger CO2 zu verursachen.
„Aus ökonomischer Perspektive sind Investitionen in Klimaschutz wenig attraktiv, denn sie bringen sogenannte Freifahreranreize mit sich: Wenn jemand investiert, profitieren auch alle anderen, ohne Kosten tragen zu müssen. Deshalb möchte niemand den ersten Schritt machen“, erklärt Bodo Sturm. Dass China trotzdem mit seinem Zertifikathandel und anderen Maßnahmen wie Investitionen in E-Mobilität Beiträge zum Klimaschutz leistet, liegt nach Ergebnissen des Umweltökonomen auch an den positiven Auswirkungen des Klimaschutzes auf lokaler Ebene. Ökonomen bezeichnen solche Effekte als „Co-Benefits“, also Zusatznutzen des Klimaschutzes.
Für ihre Untersuchung führten Bodo Sturm und vier Kollegen sowie eine Kollegin aus Deutschland und China ein Experiment mit 317 zufällig ausgewählten Einwohnerinnen und Einwohnern Pekings durch. Diese konnten zum Klimaschutz beitragen, indem sie von ihrem eigenen Geld entweder CO2-Zertifikate für Peking oder für Shenzhen kauften, eine Metropole rund 2.000 Kilometer südlich der Hauptstadt. Für die Studienteilnahme gab es eine Aufwandsentschädigung. Insgesamt wurden für rund 150 Euro Zertifikate für 60 Tonnen CO2 gekauft. Da diese anschließend vernichtet wurden, können sie seitdem nicht mehr für Emissionen verwendet werden.
„Für den Klimaschutz spielt es keine Rolle, wo CO2 vermieden wird – es handelt sich um ein globales Problem. Doch die positiven Nebeneffekte sind lokal. Wird etwa weniger Kohle verbrannt, dann sinken nicht nur die CO2-Emissionen, sondern auch die Emissionen lokaler Schadstoffe wie Schwefeldioxid und Feinstaub“, erläutert Bodo Sturm. Im Experiment war die Nachfrage nach Emissionsrechten für Peking deutlich größer als für Shenzhen.
Daraus folgern die Forschenden: Für die Menschen in Peking hat nicht der globale Klimaschutz Priorität, sondern vor allem der damit verbundene, lokale Zusatznutzen wie saubere Luft. „Für die internationale Klimapolitik bedeutet dies, dass die Zusatznutzen des Klimaschutzes wie saubere Luft, aber auch Beschäftigungswirkungen oder Energiesicherheit stärker im Zentrum der Überlegungen stehen müssen“, erläutert Andreas Löschel von der Universität Münster. Dies gilt insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen fossile Energieträger mit relativ „schmutzigen“ Technologien genutzt werden: Hier steigen die Anreize für Investitionen in Klimaschutz durch die Berücksichtigung von Co-Benefits deutlich.