Landwirtschaftliche Betriebe produzieren Nahrungsmittel und Rohstoffe und sollen auch zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen und mehr Tierwohl sicherstellen – darin besteht weitgehend Einigkeit. Doch was ist eigentlich mit der sozialen Dimension? Welchen Beitrag kann Landwirtschaft zum Zusammenleben in ländlichen Räumen und in unserer Gesellschaft insgesamt spielen? Ein Autorenteam der Humboldt-Universität hat Veröffentlichungen aus ganz Europa ausgewertet und potenzielle soziale Funktionen von Landwirtschaft kategorisiert. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse zeigen: Landwirtschaft kann vielfältige soziale Funktionen erfüllen. Sie werden aber bisher viel zu wenig verstanden.
„Um Multifunktionalität zu verstehen, sind interdisziplinäre Ansätze und eine ganzheitliche Perspektive auf die Landwirtschaft notwendig“, sagt Wiebke Nowack, Hauptautorin des Artikels. Unter dem Stichwort „Multifunktionale Landwirtschaft“ findet bereits seit Ende der 90er Jahre eine wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der Frage statt, welche Funktionen Landwirtschaft erfüllt, erfüllen kann und erfüllen soll. Erkenntnisse zu sozialen Beiträgen von Landwirtschaft wurden bisher jedoch kaum verknüpft und ein Überblick über die Vielfalt und Vielzahl möglicher positiver Auswirkungen fehlte.
Die Autoren verknüpfen in ihrem Papier die Perspektiven und Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen und entwickeln eine Kategorisierung von elf möglichen sozialen Funktionen von Landwirtschaft. Die sozioökonomischen, sozioökologischen und soziokulturellen Funktionen betreffen teilweise das direkte, räumliche Umfeld landwirtschaftlicher Betriebe oder, darüberhinausgehend, die Gesellschaft im Ganzen.
Einige Tätigkeiten landwirtschaftlicher Betriebe stärken beispielsweise den sozialen Zusammenhalt in Dorfgemeinschaften, die regionale Identität oder fördern wirtschaftliche Synergien und können damit zur Erreichung von sozialen Zielen im regionalen Kontext beitragen. Trägt Landwirtschaft positiv zur Attraktivität von Erholungsräumen oder zur Pflege von kulturellem Erbe bei, profitiert gegebenenfalls nicht nur die regionale Bevölkerung.
Statt nur den Kernbereich von Landwirtschaft zu berücksichtigen, wurden auch Erkenntnisse zu den Auswirkungen sogenannter landwirtschaftsbezogener Tätigkeiten wie Direktvermarktung, Bildungsarbeit und ehrenamtliche Arbeit in der Dorfgemeinschaft in die Auswertung integriert. „Erst diese Betrachtungsweise erlaubte es nachzuvollziehen, inwiefern landwirtschaftliche Betriebe zu regionalen und gesamtgesellschaftlichen Zielzuständen beitragen und damit soziale Funktionen erfüllen könne“, erklärt Julia Schmid, Koautorin des Artikels.
Am Ende ihres Artikels heben die Autoren hervor, dass Landwirtschaft nicht grundsätzlich und pauschal mit positiven, sozialen Auswirkungen verbunden ist. Harald Grethe, Koautor des Artikels, erklärt: „Ein verbessertes Verständnis potenzieller sozialer Funktionen der Landwirtschaft kann allerdings dazu beitragen, entsprechende Funktionen gesellschaftlich stärker wertzuschätzen und auch Politik darauf auszurichten, diese Funktionen zu fördern.“