Kleine Inselstaaten wie die Malediven sind stark vom Klimawandel und dem dadurch ausgelösten Meeresspiegelanstieg betroffen. Die Atolle im Indischen Ozean liegen nur rund einen Meter über dem Meeresspiegel. Aktuelle Projektionen bis zum Ende dieses Jahrhunderts gehen von einem globalen, mittleren Anstieg des Meeresspiegels von mehr als einem Meter aus. Für sensible, kleine Inselstaaten ist die Anpassung an den Klimawandel daher eine besondere Herausforderung. Ein Forschungsprojekt der Leibniz Universität Hannover (LUH) zusammen mit der Universität Hamburg hat jetzt die küstennahen Prozesse und die Anpassungsstrategien der Bevölkerung an die fortschreitende Erosion der Küstenlinie auf den Malediven detailliert untersucht.
Die Wissenschaftler wollten herausfinden, wie gut die bereits entwickelten Anpassungsstrategien der zentralen Regierung der Malediven geeignet sind, um mit den bereits heute drängenden Küstenproblemen umzugehen und für die Zukunft vorbereitet zu sein. Die Leitfragen, ob der Meeresspiegelanstieg die alleinige Ursache für Veränderungen der Küstenlinie ist und welche natürlichen oder anthropogenen Prozesse diese verstärken, standen im Vordergrund der Untersuchungen.
Ziel war es, Fehlentwicklungen in der Anpassung an den klimabedingten Meeresspiegelanstieg effektiver begegnen zu können. Dazu hat ein Team des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen der LUH zahlreiche Feldstudien auf den Malediven gemacht, um die Situation und Entwicklungen auf der Riff-Insel Fuvahmulah zu untersuchen.
Das Forschungsprojekt DICES war eine gelungene Kooperation zwischen den Bereichen Küsteningenieurwesen und Sozialwissenschaften. Die Universität Hamburg (Abteilung Integrative Geographie, Prof. Dr. Beate M. W. Ratter) hat in Experteninterviews auf nationaler und lokaler Ebene, mit mehreren strukturierten Bevölkerungsbefragungen vor Ort und einer Governanceanalyse herausgearbeitet, dass die sozio-politische Dimension der Klimaanpassung mindestens genauso entscheidend für eine erfolgreiche Küstenentwicklung ist wie die Berücksichtigung der natürlichen Dynamik und politische Entscheidungsprozesse nationaler und lokaler Akteure.
Beteiligt war außerdem die Université de Pau et des Pays (Frankreich) mit der Bereitstellung eines numerischen Modells zur Abbildung und Projektion von dynamischen Prozessen der Küstenveränderungen. Das Projekt DICES wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Schwerpunktprogramm „Sea Level & Society“ gefördert.
„Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Forschungsprojekts zeigen die teils beeinträchtigten Anpassungskapazitäten kleiner Inselstaaten in der Wahrnehmung und im Umgang mit klimabedingten Veränderungen auf“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Torsten Schlurmann, Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Leibniz Universität Hannover. „Politische Top-down-Prozesse mit zentralistischen Regierungsmodellen sind in diesen Ländern oft große strukturelle Herausforderungen. Wir können aus unserer Studie ableiten, dass ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit dem Klimawandel in Einklang zu bringen und stärker auf lokales Wissen zur Überwindung von Fehlentwicklungen zu bauen ist.“
„Wir haben unter anderem herausgefunden, dass errichtete Küstenbauwerke tatsächlich in ähnlicher Größenordnung zur Küstenerosion beitragen können wie die Folgen des Klimawandels selbst“, fasst Dr. C. Gabriel David, Erstautor des Artikels und ehemaliger Doktorand am Ludwig-Franzius-Institut und jetzt an der Technischen Universität Braunschweig tätig, zusammen. Die Anpassung an den Klimawandel in sensiblen Inselstaaten müsse deshalb mit großer Sorgfalt und Weitsicht für die natürlichen Gegebenheiten vorgenommen werden, weil falsche Entwicklungsmaßnahmen und Anpassungsstrategien zu erheblichen negativen Auswirkungen führen können, die sich mit den bereits stattfindenden und in Zukunft noch einmal verstärkenden Folgen des Klimawandels auf kleinen Inselstaaten überlagern.
Konkret stellte sich für die Insel Fuvahmulah heraus, dass ein dort vor etwa 20 Jahren gebauter Hafen den natürlichen Sedimenttransport unterbindet. Diese Sandtransporte tragen ursprünglich dazu bei, dass die Küstenlinie von Atollen bestehen bleibt. „Eine Riff-Insel hat eigentlich recht gute Möglichkeiten der natürlichen Anpassung an steigende Meeresspiegel, wenn die vorgelagerten Korallenriffe intakt sind und der Transport beziehungsweise die Verteilung von Sedimenten natürlich ermöglicht wird“, fügt Dr. David hinzu.
Durch den angespülten Sand bestehe die Möglichkeit, dass diese Inseln quasi mitwachsen können. Im konkreten Fall der Insel Fuvahmulah behindert der Hafen diesen natürlichen Prozess jedoch stark, hebelt die Sandversorgung aus und verhindert so den Transport und damit die natürlichen Schutzfunktionen der Insel. Bei der Befragung der Bevölkerung und lokalen Inselregierung stellte sich heraus, dass vielen Akteurinnen und Akteuren die Ursachen und Folgen sehr bewusst sind und sie die auf zentraler Ebene getroffenen Anpassungen infrage stellen.
„Die Regierung der Malediven jedoch begründet die Problematik ausschließlich mit den Folgen des Klimawandels und plant die Errichtung klassischer Küstenschutzinfrastrukturen als Gegenmaßnahme – unter anderem ein probates Mittel, um externe Fördermittel mit internationaler Hilfe zu erhalten“, ergänzt Prof. Schlurmann.
Um den Prozessen auf Fuvahmulah auf die Spur zu kommen, haben die Küsteningenieure der LUH den Küstenbereich der gesamten Insel vermessen, die Sandbewegungen verfolgt, das Wellenverhalten analysiert, um daraus aufwendige Modelle zu entwickeln, die die natürlichen Bedingungen der Insel erfolgreich nachahmen sowie Interventionen und weitere Folgen nachvollziehbar machen. Parallel liefen die Befragungen der Bevölkerung durch das Team der Universität Hamburg zu Wahrnehmung und Einstellungen bezüglich Küstenschutz und Klimawandel.