Auch in diesem Jahr rechnet der Deutsche Bauerverband mit einer unterdurchschnittlichen Erntebilanz: Hagel und Starkregen erschwerten vielerorts die Getreideernte, andere Regionen litten unter Trockenschäden. Wie kann sich die Landwirtschaft fit machen für den Klimawandel? Das fängt schon bei der Herstellung des Saatguts an: Lea Kliem und Stefanie Sievers-Glotzbach aus der Forschungsgruppe „Right Seeds?“ argumentieren im International Journal of Agricultural Sustainability für die Produktion von Saatgut als Gemeingut: Genetische Vielfalt und regional angepasste Sorten gedeihen besser, wenn das Saatgut verbreitet und weiterentwickelt werden darf.
Privatwirtschaftliche Interessen und Patentschutz schaden der Vielfalt eher, so die Forscherinnen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und von der Universität Oldenburg. Damit mehr gemeingutbasierte, widerstandsfähige Sorten auf den Äckern und Tellern landen, empfehlen die Forscherinnen langfristige Förderprogramme und bessere politische Rahmenbedingungen für eine gemeingutbasierte Saatgutproduktion.
„Angesichts der voranschreitenden Klimakrise muss die Landwirtschaft resilienter werden, also anpassungs- und widerstandsfähiger“, sagt Lea Kliem vom IÖW. „Deshalb ist es wichtig, Saatgut in Gemeinschaftsbesitz zu fördern. Es geht darum, unsere Ernährung in Zukunft sicherzustellen und die Unabhängigkeit der Landwirt/innen gegenüber Konzernen zu stärken.“ Im deutschsprachigen Raum arbeiten bereits mehrere Initiativen und Firmen im Saatgutsektor mit wachsendem Erfolg daran, Saatgut und Sorten als Gemeingut bereitzustellen.
Wie Kliem und Sievers-Glotzbach in ihrer Studie zeigen, verfolgen diese Initiativen gemeinwohlorientierte und nachhaltige Ziele: Sie streben hochwertige Nahrungsmittel bei geringer Umweltbelastung an und wollen eine große Nutzpflanzenvielfalt erhalten und erweitern. Dadurch erleichtern sie es landwirtschaftlichen Betrieben, auf regionale Besonderheiten und Klimawandelfolgen zu reagieren.
Gemeinschaftsgüter versus Privatwirtschaft
Die industrielle Saatgutproduktion hat sich auf Hochertragssorten spezialisiert, die nur unter optimalen Anbaubedingungen gedeihen. Das macht die Pflanzen jedoch für Klimawandelfolgen besonders anfällig. „Die Saatguterzeugung im Gemeinschaftsbesitz weist demgegenüber deutliche Vorteile auf“, erklärt Stefanie Sievers-Glotzbach von der Universität Oldenburg.
Vielfalt und Teilhabe machen Saatgut nachhaltiger
Gemeinsam mit Lea Kliem wertete sie Berichte und Broschüren ausgewählter Betriebe und Initiativen aus, um Ziele und Vorgehensweisen gemeingutorientierter und privatwirtschaftlicher Produzenten miteinander zu vergleichen. „Die gemeingutbasierten Produzenten, die wir untersucht haben, setzen auf Vielfalt statt auf Hochertragssorten.
Dadurch können sich die Pflanzen besser an regionale Besonderheiten und an veränderte klimatische Bedingungen anpassen. Außerdem eignet sich das Saatgut dieser Hersteller besonders für den ökologischen Landbau.“
Der Schlüssel zu Vielfalt und Anpassungsfähigkeit des Saatguts liegt in der Organisationsform, denn prinzipiell können alle Akteure aus der Pflanzenzucht und Landwirtschaft an dem Prozess teilhaben: „Das Saatgut kann frei verwendet und variiert werden – so wie es für Bäuerinnen und Bauern noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts selbstverständlich war. Wir haben beobachtet, dass die gemeingutorientieren Initiativen einen stärkeren Fokus auf Kooperation legen als Privatunternehmen und dass ihre Entscheidungsstrukturen eher dezentral und partizipativ angelegt sind“, so Lea Kliem.
Neue Sorten für den Ökolandbau: Von Blumenkohl „Odysseus“ bis Möhre „Miranda“
Eine der sechs untersuchten gemeingutbasierten Initiativen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ist der Verein Kultursaat, ein Zusammenschluss von 30 biologisch-dynamischen Gemüsezüchter/innen. Seit den 1980er Jahren entwickelte der Verein bereits über 100 Gemüsesorten: Diese samenfesten, also nachbaufähigen, Sorten bereichern die Artenvielfalt auf Biohöfen. Das Gemüsesaatgut ist weder patentiert noch sortengeschützt, sodass die Samen vermehrt, verkauft und weiterentwickelt werden dürfen.
Ein „Lebenslauf“ jeder Sorte ist auf der Website von Kultursaat zu finden. So entstand beispielsweise die Möhre „Miranda“ in der Nähe von Bremen aus der alten Sorte „Michel“. Von den ersten Versuchen bis zur Zulassung beim Bundessortenamt vergingen 16 Jahre. Eine ähnlich lange Reise hat Blumenkohl „Odysseus“ hinter sich: Er wurde in Oberbayern für eine leichtere, sichere Ernte aus der konventionellen Sorte „Erfurter Zwerg“ entwickelt. Um den Pool an widerstandsfähigen Sorten weiter zu vergrößern, empfehlen die Forscherinnen Förderprogramme, die gezielt auf gemeingutbasierte Betriebe und Initiativen ausgerichtet sind und den freien Zugang zu genetischen Ressourcen langfristig sichern.