Urbane Gärten haben ökologische und soziale Vorzüge

In vielen Städten entstehen Initiativen, die nicht nur gemeinschaftlich Obst- und Gemüse anbauen, sondern auch Experimentierfelder schaffen für nachhaltige Natur-, Sozial- und Ernährungsverhältnisse. Prof. Cordula Kropp und Clara Da Ros haben derartige Initiativen in Leipzig und im französischen Nantes untersucht. Die Arbeit erschien in einem u.a. von Prof. Cordula Kropp herausgegeben Sammelband.

Unter den Bezeichnungen „Urban Gardening“, „Gemeinschafts- oder Selbsterntegarten“ oder „urbane Landwirtschaft“ engagieren sich zahlreiche Gruppen in Europa und weltweit. Mit dem Anbau von Obst und Gemüse mitten in der Stadt zielen sie auf grüne Oasen und lebendige Nachbarschaften.

Sie verstehen dies gleichzeitig als Kritik an der bestehenden Nahrungsmittelversorgung und wollen Alternativen entgegensetzen. Sie möchten mit ihren Projekten sichtbare Beispiele und offene Labore für sinnvolle und zukunftstaugliche Natur-, Sozial- und Ernährungsverhältnisse schaffen.

Die im Sammelband aufgeführten Fallstudien von Orten in Europa, den USA und Brasilien werfen eine neue Perspektive auf die Rolle der Zivilgesellschaft beim Umstieg zu nachhaltigen Formen der Lebensmittelproduktion. Die umfangreichen Studien machen deutlich, wie vielfältig die Wege zu einem anderen Lebensmittelsystem sein können und welche Bedingungen für den Wandel erforderlich sind.

Gemeinschaftsgarten Annalinde, Foto: Sven Stinner

Auch die positiven Auswirkungen auf die Beteiligten werden gezeigt. Interessant sei, dass urbane Gärten und weitere Formen der Lebensmittelproduktion inmitten von Städten auf große Resonanz stoßen, betonen die Herausgeber. Diese erhielten unter den Bedingungen der Pandemie sogar noch größeren Zulauf.

Alternativen zur bestehenden Nahrungsmittelversorgung

„Den „alternativen Ernährungsnetzwerken“ (alternative food networks), wie die weltweite Bewegung in der Wissenschaft heißt, geht es dabei um vieles zugleich: um grüne Infrastrukturen, gesunde Lebensmittel, regionale Produktions- und Konsumptionsprozesse, sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten, die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, die Verbindung zur Natur sowie die Wiederaneignung von offenen Begegnungsräumen“, zählt die Sozialwissenschaftlerin Cordula Kropp auf.

Im Kapitel „Alternative food politics: the production of urban food spaces in Leipzig (Germany) and Nantes (France)“ in der oben genannten Publikation untersuchen die beiden Autorinnen Cordula Kropp und Clara Da Ros Initiativen der Städte Leipzig und Nantes.

„Mit der Auswahl der Städte wollten wir einerseits die unterschiedlichen Initiativen aus zwei verschiedenen Ländern vorstellen“ erklärt Kropp, „die eine unterschiedliche Geschichte haben, aber auch Parallelen aufweisen.“ Beide Städte kennen sowohl die Schattenseite des Strukturwandels, wie Abwanderung, Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung, als auch den Schwung einer lokalen Neuerfindung.

Alternative Ernährungsnetzwerke in Leipzig

In ihrer Veröffentlichung beschreiben die Autorinnen Leipzig nicht nur als eine wachsende und weltoffene Stadt, sondern auch als gern zitiertes Beispiel für die Entwicklungskräfte der Kreativszene und einer aktiven Zivilgesellschaft. Leipzig beheimatet eine besonders breite und aktive Szene alternativer Ernährungsnetzwerke. Es gibt dort mehrere Organisationen solidarischer Landwirtschaft mit überregionaler Bekanntheit, viele Gemeinschaftsgärten, Food-Coops und Stadtimker, zudem Selbsterntegärten sowie eine Stadtfarm für die Großstadtkinder. Die Sozialwissenschaftlerinnen stellen insbesondere die folgenden drei Initiativen vor:

– Der Gemeinschaftsgarten Annalinde entstand 2011 auf einem städtischen Grundstück im Leipziger Westen. Die Betreiber betonen die zentrale Rolle, die gemeinschaftlich bewirtschaftete Gemüsegärten für eine partizipative Stadtentwicklung spielen. Neben Anbau von Obst und Gemüse gibt es auch Aktivitäten, darunter öffentliche Dinner, kollektive Ernteaktionen und Transporte von Gemüsekisten und Komposttoiletten auf Lastenrädern quer durch die Stadt.

– Die Gemüsekooperative Rote Beete ist eine solidarische Landwirtschaft im Nordosten Leipzigs, die neuartige Möglichkeiten der Stadt-Land-Kooperation durch die vertraglich geregelte Zusammenarbeit von Stadtbürgern und einer ökologisch wirtschaftenden Gärtnerei schafft. Die Mitglieder geben eine Abnahmegarantie für einen Ernteanteil und erhalten im Gegenzug Einblick und Einfluss auf die Lebensmittelproduktion in ihrem lokalen Umfeld. Die Beteiligten wollen kein „Wohlfühl-Projekt“ für LOHAS (Anhänger eines „Lifestyle of Health and Sustainability“) sein, sondern eine zukunftstaugliche Form der Lebensmittelversorgung aufbauen.

– Mundraub ist eine gemeinschaftsbasierte Plattform, die deutschlandweit frei zugängliche Obstbäume und -sträucher im Internet kartiert und Aktivitäten, wie gemeinsame Verkostung und Verarbeitung von Obst, organisiert.

Diese und viele weitere Unternehmungen sind im Forum Nachhaltiges Leipzig gebündelt (www.nachhaltiges-leipzig.de). Sie laden zum Mitmachen ein und wollen für eine nachhaltige Umgestaltung der Stadt eine klimaverträgliche Regionalisierung von Nahrungsmittelproduktion, Wirtschaft und Energieversorgung bewirken und sich von den Routinen der Wegwerfgesellschaft trennen, fasst Cordula Kropp zusammen.

Einträge von Mundraub in Stuttgart, Foto: Screenshot der „Mundraub“-Webseite

Initiativen in Nantes

Nantes, die zweite in der Veröffentlichung betrachtete Stadt, liegt im Westen Frankreichs. Seit Beginn des industriellen Niedergangs Ende der 1980er-Jahre führten die Erfahrungen von Armut und Exklusion zur Entstehung einer stark für soziale und ökologische Zwecke engagierten Zivilgesellschaft, erklären die Autorinnen.

Die Wende auf dem Weg zur Dienstleistungsmetropole kam mit einer aktiven Infrastrukturentwicklung und der Aufwertung des öffentlichen Raums. Heute ist Nantes vor allem für sein reichhaltiges Kulturangebot bekannt und wurde 2013 zur Umwelthauptstadt Europas gekürt.

Nantes präsentierte sich als ein „Experimentiergebiet im Bereich nachhaltiger Stadtentwicklung und urbaner Landwirtschaft“. Die Stadt verfügt über eine Zivilgesellschaft, die unter dem Stichwort agriculture urbaine nicht nur eine alternative Nahrungsmittelbereitstellung verfolgt, sondern vor allem eine veränderte Raumerfahrung und eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts erreichen will.

Auch hier nehmen die Sozialwissenschaftlerinnen einige Initiativen genauer in den Blick, unter anderem eine Stadtfarm, einen Nachbarschaftsgarten und einen Verein für urbane Landwirtschaft sowie daran anknüpfende Bildungsprojekte:

– Die Petite Ferme Urbaine de Bellevue ist eine Stadtfarm, die in engem Bezug zum Quartier zur Nahversorgung beitragen möchte. Die Initiative verbindet ökologisches und soziales Engagement und bezieht die Bewohner aus Sozialbauten mit ein, gemeinsame Pflanz- und Ernteerlebnisse werden gestaltet. Die Stadtfarm zwischen den Wohnblöcken schaffe auch Räume für gemeinsame Unternehmungen der Familien, erklärte der Gründer.

– Der Nachbarschaftsgarten Prairie d’Amont verstetigte sich im Anschluss an die Auszeichnung von Nantes als Umwelthauptstadt Europas 2013. Die grünen Begegnungsräume wurden im Rahmen einer kommunalen Ausschreibung geschaffen. Den Beteiligten geht es explizit um einen Beitrag zur Stadtentwicklung. Ein Wunsch ist beispielsweise, die Anpflanzung von Obstbäumen statt dekorativer Bäume in den Stadtvierteln.

– Dem Verein Bio-T-Full geht es um urbane Landwirtschaft und darum, mit Bildungsprojekten zu deren Ausbreitung beizutragen. Neben Gartenbau umfasst Bio-T-Full auch Formen der Tierhaltung im Stadtgebiet (Geflügel, Kaninchen, Aquakultur und Bienenhaltung).

Allen Projekten in Nantes ist gemeinsam, dass die Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren, auch sozial schwächerer, Teil der Agenda ist, betont Clara Da Ros. Die urbane Ernährungsbewegung solle weder der Spielplatz arrivierter Mittelschichten sein noch in abgeschlossenen Gemeinschaften stattfinden, sondern in einer stadtöffentlichen Vernetzung geschehen, die weitere Interessierte zur Beteiligung einlädt.

Mehr Lebensqualität und verbesserte Stadtökologie

Wie in zahlreichen weiteren Beispielen in anderen Städten, die im Sammelband vorgestellt werden, verbinden die Akteure Selbstversorgung in urbanen Gärten und Landwirtschaft nicht mit Rückständigkeit, Ausgrenzung und Armut, sondern mit mehr Lebensqualität, Innovation und verbesserter Stadtökologie, erklären die Autorinnen Cordula Kropp und Clara Da Ros in ihrer Veröffentlichung.

Es gehe darum, sich mit Ernährungsfragen auseinanderzusetzen, die Natur in die Stadt zu holen und ein Leben in der nachhaltigen Stadt vorzudenken und dies alles gemeinschaftlich zu tun.