In der aktuellen Debatte zur Energiewende richten sich große Hoffnungen auf grünen Wasserstoff, da dieser auf vielfältige Weise zur Klimaneutralität beitragen kann. Die Jahrestagung des ForschungsVerbunds Erneuerbare Energien (FVEE) am 10. und 11. November in Berlin zeigt, welche Fragen jetzt gelöst werden müssen, damit Wasserstoff tatsächlich eine tragende Säule im künftigen Energiesystem werden kann.
Schaufenster für die aktuelle Wasserstoff-Forschung
Professor Frithjof Staiß, der gemeinsam mit Doktor Sarina Keller die Tagung leitet, beschreibt, was die Teilnehmenden erwarten dürfen: „Die Konferenz des FVEE ist ein großes Schaufenster der aktuellen Wasserstoff-Forschung. Hier stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die gesamte Bandbreite an Technologien vor, die zur großskaligen Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff erforscht und entwickelt werden.“
Forschung zeigt, wie Wasserstoff ein Baustein für die Energiewende wird
Tagungsleiterin Keller, stellt klar: „Energieforschung ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Wasserstoffnutzung. Deshalb wird in den Vorträgen sehr genau beleuchtet, wie Wasserstoff sinnvoll in die Energiewende eingebunden werden kann: Welche Anwendungen sollten für den derzeit noch knappen Wasserstoff priorisiert werden? Wie muss die Infrastruktur für Wasserstoff ertüchtigt werden? Und welche Rolle spielen Wasserstoff-Importe?“
Erneuerbarer Strom ist die Basis für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft
Der Sprecher des FVEE, Professor Hans-Martin Henning, weist auf die Voraussetzungen für den potenziellen Klimaschützer Wasserstoff hin: „Damit Wasserstoff im Energiesystem tatsächlich Kohlendioxid einspart, müssen wir die Erneuerbaren massiv ausbauen, um zu jedem Zeitpunkt der Transformation ausreichend grünen Wasserstoff für die vielfältigen Aufgaben zu erzeugen und die notwendigen Kostensenkungen zügig zu erreichen.“
Jetzt die Weichen richtig stellen
Damit grüner Wasserstoff seine Aufgaben im künftigen Energiesystem erfüllen kann, müssen viele strukturelle Änderungen jetzt beschlossen und angegangen werden. Sowohl die Erzeugungskapazitäten als auch die Anwendungstechnologien müssen eine ambitionierte Skalierung durchlaufen, um eine schnelle Marktdiffusion zu ermöglichen.
In der energieintensiven Industrie muss wegen der langen Investitionszyklen und der notwendigen Lernphasen bei der technischen Umsetzung jetzt mit der Umstellung auf Technologien begonnen werden, die mit Wasserstoff kompatibel sind. Damit ausreichend große Mengen Wasserstoff produziert und bereitgestellt werden können, ist ein erheblich schnellerer Ausbau der erneuerbaren Elektrizitätserzeugung, aber auch der Stromnetze und der Wasserstoffinfrastruktur unmittelbar auf den Weg zu bringen.
Ebenso sind heute Maßnahmen zu ergreifen, die die Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen im Verkehr schaffen. Und nicht zuletzt müssen auch die Weichen für den Import von grünem Wasserstoff und synthetischen Folgeprodukten gestellt werden.
Energieforschung als Schlüssel zu einer nachhaltigen Wasserstoffnutzung
Nur mit einer starken und konzertierten Energieforschung wird es den Akteuren in Deutschland und Europa gelingen, in einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft eine führende Rolle im internationalen Wettbewerb einzunehmen und Wertschöpfung hierzulande zu generieren.
Die Bereitstellung effizienter, sicherer, großtechnisch skalierbarer und kostengünstiger Anlagentechnik für die Erzeugung von erneuerbarem Strom, Wasserstoff und synthetischen Folgeprodukten bilden dabei wesentliche Schwerpunkte. Ebenso wichtig sind Untersuchungen, die aufzeigen wie eine nachhaltige Systemtransformation mit grünem Wasserstoff im Zeitverlauf am besten gelingen und wie sie durch die Politik entsprechend angereizt und reguliert werden kann.
Vortragsteams bündeln die Kompetenzen im Verbund
Alle Vorträge der Tagung werden von Teams aus den Mitgliedseinrichtungen des FVEE gemeinsam vorbereitet, um die verschiedenen Kompetenzen im Forschungsverbund zu nutzen. Die Leitenden der Vortragsteams geben Einblicke in die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Arbeitsgruppen:
Politische und ökonomische Rahmenbedingungen für die neue Wasserstoff-Ära
„Die Idee, Wasserstoff mit Hilfe von erneuerbaren Energieträgern zu gewinnen und darauf eine klimafreundliche und nachhaltige Energieversorgung aufzubauen ist nicht neu“, so Maike Schmidt vom ZSW. „Sie konnte aber in der Vergangenheit noch nicht umgesetzt werden, weil die erneuerbaren Energien damals noch zu teuer waren und marktreife Wasserstoff-Schlüsseltechnologien sowie das erforderliche Kapital für Investitionen fehlten.
Das ist heute anders! Zudem besteht inzwischen ein breiter gesellschaftlicher Konsens für eine klimaneutrale Gesellschaft und die Einsicht, dass diese nur mit grünem Wasserstoff realisiert werden kann.“ Der Vortrag von Schmidt und ihrem Team gibt Einblicke, wie sich die Rahmenbedingungen verändert haben und welche politischen Weichenstellungen jetzt für den erfolgreichen Einstieg in eine Wasserstoff-Ära erforderlich sind.
Wettlauf auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft
Aktuell bereiten viele hochproduktive Volkswirtschaften den Weg, um Produktion, Transport, Verteilung und Anwendung von Wasserstoff zu etablieren und den weltweiten Markthochlauf zu unterstützen. Das Vortragsteam um Professor Christopher Hebling vom Fraunhofer ISE analysiert diesen Wettbewerb. Zurzeit besteht noch eine Wirtschaftlichkeitslücke zwischen grünem Wasserstoff und den daraus hergestellten Energieträgern und Rohstoffen einerseits und den herkömmlichen fossilen Pendants andererseits.
Die Wissenschaftler untersuchen unter anderem die Palette möglicher Instrumente, mit denen diese Lücke während des Markhochlaufs ausgeglichen werden soll. Nach Analyse der internationalen Aktivitäten zieht Hebling ein Zwischenfazit: „Die Welt befindet sich bereits auf dem Weg in eine globale Wasserstoffwirtschaft mit dem gemeinsamen Ziel, baldmöglichst Klimaneutralität zu erreichen. Wir brauchen anhaltende Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, um diesen Prozess voranzutreiben und uns eine Spitzenposition im Wettbewerb zu ermöglichen.“
Wasserstoff verhilft erneuerbaren Energien in allen Sektoren zum Durchbruch
Neben erneuerbaren Strom benötigt das Energiesystem der Zukunft einen chemischen Energieträger, um Energie möglichst einfach speichern, transportieren und in allen Sektoren einsetzen zu können. Das Team um Andreas Rosenstiel vom DLR analysiert, warum Wasserstoff für diese Rolle ideal geeignet ist und wie Wasserstoff die Defossilisierung aller Sektoren vorantreiben kann.
Dazu werden Ergebnisse von kostenoptimierten Energiesystem-Transformationsmodellen und aktuelle Forschungsprojekte zur Sektorenkopplung vorgestellt. Des Weiteren wird von den Forschenden erörtert, welche technischen und wirtschaftlichen Hindernisse überwunden werden müssen und wie die Sektorenkopplung mit Wasserstoff konkret auf den Weg gebracht werden kann.
Wird Deutschland globaler Leitanbieter für Wasserstofftechnologien?
Das Team um Dr. Patrick Jochem vom DLR analysiert außenhandelsrelevante Indikatoren verschiedener Länder, um deren Potenzial als zukünftige Marktführer für Wasserstoffproduktionstechnologien zu ermitteln.
Dabei werden beispielsweise Ausbauziele und weitere relevante Ankündigungen, Patentanmeldungen sowie artverwandte Produktmärkte berücksichtigt. Jochem fasst erste Erkenntnisse der Potenzialanalyse zusammen und gibt einen Ausblick auf die erforderlichen nächsten Schritte: „Die Ausgangsposition Deutschlands für eine künftige Leitanbieterschaft bei Wasserstofftechnologien ist verheißungsvoll. Aber es bestehen erhebliche Marktunsicherheiten, so dass die Beibehaltung der deutschen Marktposition aus heutiger Sicht ungewiss erscheint. Daher hat unser Team auch erste Hinweise auf Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet.“
Woher kommt der grüne Wasserstoff?
„Klimafreundlicher Wasserstoff muss grün sein“, stellt Dr. Raphael Niepelt vom ISFH klar. Sein Vortragsteam untersucht, aus welchen Quellen Deutschland dieses noch derzeit knappe klimaschützende Gas künftig beziehen kann. „Die gute Nachricht ist“, berichtet Niepelt zuversichtlich, „dass die Preise für Erneuerbare seit Jahren sinken, was die Elektrolyse mit grünem Strom immer preiswerter macht.
Dadurch ist die Produktion von grünem Wasserstoff auch in Deutschland und Europa wirtschaftlich.“ Aber die Flächen für Erneuerbare sind hierzulande nicht ausreichend. Deshalb werden wir für die Deckung unseres Wasserstoffbedarfs zusätzlich auch Importe aus dem Ausland benötigen.
Niepelt regt daher dringend an: „Damit künftig die weltweiten Bedarfe und Angebote an grünem Wasserstoff optimal in Deckung gebracht werden können, ist es wichtig, jetzt schon internationale Partnerschaften für die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff aufzubauen.“ Dabei erkennen Niepelt und sein Team noch großen Forschungsbedarf: „Für eine optimale Passung müssen die sogenannten Transportvektoren für grünen Wasserstoff wissenschaftlich vertieft untersucht werden.“
Niepelt erläutert: „Hier wird ermittelt, in welcher Form und auf welchen Wegen grüner Wasserstoff am besten importiert werden kann, ob sich eine stoffliche Umwandlung wie zum Beispiel die Anreicherung des Wasserstoffs zu Ammoniak oder Methan anbietet oder eine Verflüssigung des Gases, und ob für die jeweilige Partnerschaft der Transport per Pipeline oder per Schiff am günstigsten ist.“